Die keltische Schwester
zu bändigen, und sie habe keine andere Hilfe mehr gewusst, als sie ruhigzustellen. Kannst du dir das vorstellen?«
Ich konnte es mir vorstellen. Obwohl ich das Dopen mit Alkohol bei einer Fünfjährigen auch nicht gutheißen konnte. Aber das Kind war, wie Beni schon bemerkt hatte, durchaus verhaltensauffällig.
»Du solltest vielleicht doch mal einen Kindergartenplatz für sie suchen. Da sind professionelle Erzieherinnen, die kommen bestimmt mit Jessika zurecht.«
Der Verweis auf professionelle Erzieherinnen war das falsche Wort zur falschen Zeit, und der nächste Ausbruch hysterischer Anschuldigungen brach über mich herein. Etwas später wurde mir klar, dass meine Antwort darauf womöglich doch nicht ganz so hilfreich war, wie sie mir in diesem Augenblickvorkam. Denn Karola vorzuschlagen, sie solle nicht wieder den mütterlichen Dunst aufwallen lassen, sondern sich lieber Gedanken darüber machen, wie sie ihrer ungeratenen Rabatzmarke bessere Manieren beibiegen könne, war wirklich beleidigend. Und auch der Vorschlag, sie möchte, falls sie sich mit der Doppelbenamten überfordert fühle, die kleine Terroreinheit unfrankiert an den Erzeuger zurückschicken, war kein Beitrag, der dazu dienen konnte, eine dauerhafte, freundschaftliche Beziehung zu festigen. Und dennoch fühlte ich mich nach Karolas türknallendem Abgang unerwartet erleichtert.
8. Faden, 3. Knoten
Es war kalt geworden, eisige Winde wühlten die graue See auf. Gischt türmte sich an den Felsen, donnernd brachen sich die Wellen an dem Leuchtturm vor der Küste. Manche so hoch, dass sie den rot-weißen Turm bis zur Spitze einhüllten. Die Hochwasserlinie aus Tang und Algen rutschte höher und höher den Strand hinauf, die Möwen taumelten in den heftigen Luftwirbeln, und ihre Schreie klagten über die einsamen Dünen.
Der aufrechte Stein trotzte dem Sturm und der Kälte, kleine Eiskristalle hingen in den Mooshärchen, die sich an seine Oberfläche klammerten, und wenn ein kurzer Sonnenstrahl durch die Wolken brach, glitzerte er geheimnisvoll in vielen Farben.
An seinem Fuß, einige Handbreit unter dem Boden, schlief in ihrem trockenen, geschützten Lager die Maus. Zusammengerollt lag sie da wie eine kleine Pelzkugel, den Schwanz und die Pfötchen hatte sie über die Augen gedeckt. Nur ganz langsam schlug ihr Herz, bedachtsam, um ja keine überflüssige Energie zu verschwenden. Ihre Körpertemperatur war beinaheauf ein Grad abgesunken, ihr Atem ging flach und kaum mehr spürbar.
In diesem tiefen, langen Winterschlaf träumte die Maus ihre mäusischen Träume. Von goldenen Feldern voller knuspriger Körner, von dämmerigen Speichern voller Getreide, von warmen Ecken in duftenden Küchen, von Krümeln und Krusten, fettigen Speckstückchen und Käsebröckchen. Sie träumte von einer Welt, in der es keine Mausefallen gab, in der keine rote Katze hinterhältig lauerte, wo keine Eule mit scharfen Augen nächtens raubgierig und lautlos über sie strich und keine krächzende Krähe nach ihr hackte. Die Maus befand sich in der
Autre Monde
, wo ewig Frieden herrschte, wo Speise und Trank nie versiegten, wo weder Krankheit noch Tod sie bedrohten.
1. Faden, 4. Knoten
»Auf den morgigen Tag freue ich mich nicht besonders«, gestand ich Beni am Sonntagabend.
»Wegen Karola? Ich glaube nicht, dass du die in den nächsten Tagen siehst. Die feiert doch bestimmt krank, bis sie wieder eine Dumme gefunden hat, die sich als Tagesmutter verschleißen lässt.«
»Damit könntest du natürlich recht haben.«
Zu meiner Erleichterung war genau das eingetreten, und die drei letzten Tage bis Weihnachten blieb mir eine neuerliche Begegnung mit Kavola erspart.
Dann begannen endlich die Feiertage, und wir packten unsere Sachen, um den Elternbesuch zu absolvieren. Es ging überraschenderweise verhältnismäßig gut, Mutter hatte sich – vermutlich sogar ein wenig erleichtert – damit abgefunden, dass Beni bei mir lebte und sie sich ganz ihren diversen karitativenAufgaben verschreiben konnte. Eigentlich bewunderte ich sie sogar ein bisschen dafür. Sie machte im Krankenhaus freiwillig Dienst bei den Schwerkranken, betreute einen alten Herren im Rollstuhl, organisierte alle naselang irgendwelche Flohmärkte für krebskranke Kinder und schaffte es dabei auch noch, unseren Vater hin und wieder aus seiner verträumten Welt zu locken, damit er mit ihr ins Theater oder zu Ausstellungen ging. Wahrscheinlich war ein organisatorisches Talent an ihr verlorengegangen. Jedenfalls
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