Die keltische Schwester
eine schlichte, bürgerliche Einheimische! Mein Mann ist ein Übriggebliebener aus der ersten Gastarbeiter-Welle, ebenfalls fern von allen Titeln und Rängen. Aber der Name ist hübsch, nicht?«
»Und die Cosas Bellas stammen von mir. Wegen der Galerie ›Schöne Sachen‹.«
»Ich werde ihn beibehalten.«
Ich betrachtete Teresa jetzt nach dem Essen. Der rote Lippenstift war weitgehend verschwunden, und sie hatte gerade die Brille abgenommen. Sie wirkte ganz natürlich, und eigentlich war ihr Gesicht eher unauffällig zu nennen.
»Du siehst mich an? Nicht besonders beeindruckend ohne Maskerade, nicht wahr?«
»Dachte ich eben, ja.«
»Das ist das Geheimnis, Lindis. Ein unscheinbares Gesicht, damit kann man alles Mögliche anstellen. Das und noch ein paar kleine Tricks in der Haltung und der Einstellung natürlich.«
Ich musste lachen. »Einstellung, klar! Daher wieherte vorhin auch der feurige Araber neben dir, und der Stier scharrte mit den Hufen.«
»Sicher. Du kannst das auch, wenn du willst. Obwohl dein Gesicht etwas zu außergewöhnlich ist, diese hellbraunen Augen, das honigblonde Haar. Na, man könnte sich da auch etwas vorstellen zu.«
»Die Biene Maja.«
»Mir fällt schon noch was ein.«
Beni räumte das Geschirr zusammen und meinte: »Bevor du Lindis völlig eitel machst, sollten wir langsam mal zum Thema kommen! Lindis, ich habe Teresa von deinen Träumen erzählt, und sie hat etwas ganz Interessantes herausgefunden.«
»Beni, ich möchte eigentlich nicht, dass du mit jedermann darüber sprichst.«
»Lass nur, Lindis. Bei mir ist das gut aufgehoben.«
»Wirklich, ältere Schwester. Teresa hat nämlich auch ein bisschen Erfahrung in solchen Sachen.«
»Ich kann es ja jetzt sowieso nicht mehr ändern. Was gibt es den für neue Erkenntnisse?«
Wir hatten uns mit unseren Gläsern an den Wohnzimmertisch zurückgezogen, und Beni legte eine Mappe mit Blättern darauf.
»Lindis, deine Schwester hat mir vor ein paar Tagen die Bilder gezeigt, die du malst. Diese Ornamente. Jetzt schimpf nicht schon wieder mit ihr. Wir sollten wirklich mal darüber sprechen,denn ich glaube, du hast einen ganz seltsamen Zugang zu Kenntnissen oder einem alten Wissen gefunden, den du dir nicht verbauen solltest.«
Mir kroch plötzlich wieder Gänsehaut über den Rücken. Warum ich? Meine dummen, beängstigenden Träume sollten so etwas Gewaltiges sein?
»Fürchtest du dich?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Das ist ganz normal. Du hast bisher in einer sehr realen Welt gelebt, nicht? Du denkst sehr logisch und analysierst alles kritisch, was du um dich herum wahrnimmst. Aber jetzt ist etwas eingetreten, das nicht in deiner bisherigen Wirklichkeit spielt. Das ist dir vermutlich schon lange nicht mehr passiert.«
»Das ist mir noch nie passiert.«
»Oh, ich weiß nicht. Als Kind ist man dafür normalerweise aufgeschlossener. Warst du nicht ein phantasievolles Kind, Lindis?«
War ich, ja. Phantasievoll bis hin zum Verträumten. Aber das war nicht das Idealbild, was man mir mit auf den Weg gegeben hatte. Das Ziel hieß Leistung, nicht Traum. Und weil ich zu den Ehrgeizigen unter der Sonne gehörte, hatte ich seither an diesem Ziel gearbeitet. Mit Erfolg.
»Gut, ich gebe zu, als Kind habe ich mir gerne Geschichten zurechtgesponnen. Aber nicht mehr als andere Kinder auch.«
»Dann hast du es lange unterdrückt. Und jetzt tritt es auf seine ganz eigene Weise wieder an die Oberfläche. Gut, lassen wir das. Du träumst seit einem halben Jahr etwa von einem Keltenmädchen, das in der Bretagne gelebt hat. Und du malst – seit dieser Zeit vermutlich – diese wundervollen Muster.« Sie breitete meine Kritzeleien auf dem Tisch aus. »Ist dir schon einmal etwas Ähnliches begegnet?«
»Nein, bewusst nicht. Da hast du natürlich recht, es kann sein, dass ich sie unbewusst schon mal aufgenommen habe. Ornamentegibt es viele. In der Sauna zum Beispiel, Beni, du erinnerst dich, haben die Fliesen so eine ähnliche Borte.«
»Ja, Flechtbänder verwendet man da oft. Aber deine Flechtbänder und Webmuster weisen einen ganz typischen Unterschied auf, Lindis. Sie sind nämlich nicht nur geflochten, sie sind auch verknotet. Und das hat, komischerweise, in der ganzen Welt nur ein Volk gemacht. Nämlich die Kelten. Hier, ich habe dir ein paar Abbildungen mitgebracht.«
Teresa holte aus einer Aktentasche einen gewichtigen Kunstband heraus und schlug eine markierte Seite auf. Sie zeigte ein Blatt, vollständig bedeckt mit Knoten, Spiralen
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