Die keltische Schwester
Vorgänge rekonstruieren muss. Da ich deshalb zu der Erkenntnis gekommen bin, dass Sie, Herr Schweitzer, noch nicht sicher in der Handhabung der Netzplan-Technik sind, habe ich dies Herrn Dr. Koenig bereits vor Weihnachten mitgeteilt. Daraus resultierte mein Vorschlag, dass Sie noch eine weitere intensive Schulung mitmachen sollten. Sie haben den Termin jedoch nicht wahrgenommen.«
»Natürlich nicht, Frau Farmunt. Sie haben sich ja mit einer ausgiebigen Erkältung wochenlang zurückgezogen. Da blieb natürlich die ganze Verantwortung an mir hängen.«
Er glaubte das vermutlich wirklich. Wie weit kann ein Mensch den Bezug zur Realität verlieren?
Ich nickte. »Ja, Herr Schweitzer, ich war drei Wochen krank.«
»Konrad, du weißt, ich habe in den letzten fünfundzwanzig Jahren keinen einzigen Tag krankgefeiert. Aber wie ja allgemein bekannt ist, sind da Frauen viel anfälliger.«
»Zur Sache, bitte!«
Dr. Koenig trug eine völlig ausdruckslose Maske zur Schau. Er half mir ungefähr so gut wie ein Stein, ein Menhir auf der grünen Wiese. Der Gedanke heiterte mich plötzlich etwas auf. Gut, dann konnte ich mir nur selbst helfen.
»Noch einmal. Ich war drei Wochen krank, und während dieser Zeit hat Herr Daniels den Terminplan selbst bearbeitet. Nach seinen Aussagen haben Sie für eine selbständige Arbeit nicht genügend Sachkenntnis bewiesen. Ich denke, er wird diese Aussage auch in diesem Kreis wiederholen.«
»Natürlich deckt Herr Daniels Sie. Glauben Sie doch nicht, dass mir Ihr schamloses Verhältnis verborgen geblieben ist!«
»Bitte?« Mir blieb die Spucke weg.
»Herbert!«
»Nicht ›Herbert‹. Die Sache muss endlich mal zur Sprache kommen, Konrad. Hier in unserem Unternehmen gehen die geschmacklosesten Dinge vor sich. Diese saubere junge Frau und dein geschätzter Projektleiter tanzen dir hier auf der Nase herum. Ich möchte nicht wissen, was sie dir alles vorgaukeln. Wer weiß, was da gemauschelt wird. Gemeinsame Dienstreisen, nicht wahr, Frau Farmunt? Hübsche Hotels in der Bretagne, nicht wahr, Frau Farmunt?«
»Herr Schweitzer, es langt! Definitiv!«
»Es langt nicht! Ich lasse mir mit Ihrem Kommandoton nicht ständig über den Mund fahren!«
Jetzt brüllte Schweitzer mich an, Speicheltröpfchen trafen meine Wange. Ich rückte angeekelt ein Stück zurück.
Koenig sah noch immer steinern aus.
»Ich sage dir, Konrad, das lasse ich mir nicht länger bieten. Die Frau hat dich doch vor deinen Kunden auflaufen lassen. Ich kann das beweisen. Du musst dir nur mal den Terminplan ansehen, den sie dir letzten Monat für die Lenkungskreis-Sitzung vorgelegt hat. Der stimmte doch vorne und hinten nicht. Du hast mir diese unqualifizierte Ziege vor die Nase gesetzt. Das machst du rückgängig, oder ich werde das Unternehmen verlassen.«
Das Schweigen nach diesem Ausbruch vibrierte wie eine kaum erträgliche Spannung im Raum. Schweitzer saß aufrecht und mit geballten Fäusten in seinem Stuhl. Dr. Koenig hob langsam die Augen und sah ihn an. Ich merkte, dass ich kaum noch atmete. Mir war gerade etwas klargeworden.
Sehr trocken und sehr nüchtern klangen Dr. Koenigs Worte: »Frau Farmunt hat den Fehler bemerkt, gerade noch rechtzeitig. Sie hat ihn auf
sich
genommen. Aber du hast ihn wissentlich und willentlich eingebaut. Darum, Herbert, nehme ich deine Kündigung an.«
Als hätte man die Schnur losgelassen, die ihn aufrecht gehalten hatte, sank Schweitzer in seinen Stuhl zurück. Er legte die Hände vor das Gesicht, und ich befürchtete schon, dass mir ein Weinkrampf nicht erspart bleiben würde. Verstohlen suchte ich eine Fluchtmöglichkeit, aber ich war an meinen Platz gebunden.
Dann, langsam, nahm Schweitzer die Hände wieder herunter, sein Gesicht war grau und müde. Er wirkte aber seltsam gefasst.
»Ja, Konrad. Ich gehe. Ich gehe gleich heute. Ich nehme an, KoenigConsult wird mir einen Auflösungsvertrag zuschicken.« Er stand auf und sah zu Dr. Koenig herab. »Fünfundzwanzig Jahre, Konrad. Eine lange Zeit«, sagte er mit ruhiger, trauriger Stimme. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er dann hinaus.
Dr. Koenig blieb weiter wie erstarrt sitzen, aber in mir kochte plötzlich die Wut hoch. Mit mir hatte er ein hübsches Spielchen gespielt! Mich hatte er benutzt, um seinen unfähigen Freund rauszuekeln. Ein hinterhältiger Schachzug, der auf meinem Rücken ausgetragen worden war. Ich war ein Werkzeug, eine Marionette, manipuliert und eingesetzt.
Ich konnte das jetzt nicht herunterschlucken, das war
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