Die Ketzerbibel
willst, wink mir zu!»
Carolus zog sein Messer aus dem Gürtel und spießte damitdie Zwiebeln auf. Als er die Brotscheibe leer gegessen hatte, ließ er sich noch einmal aufgeben. Zum Schluss aß er das saftgetränkte Brot. Der Wein schmeckte schauderhaft, aber immerhin roch er so nach Essig, dass er vermutlich allen Schmutz im Fass unschädlich gemacht hatte. Carolus verspürte wenig Lust auf mehr. Inzwischen waren nur noch wenige Gäste im Raum. Die junge Frau kam zu ihm und ließ sich neben ihm auf die Bank fallen.
«Das war wieder ein Tag!», stöhnte sie, lächelte aber dabei. «Und woher kommst du? Was führt dich nach Aix?»
Er erzählte es ihr.
«Oh, das ist ja herrlich! Wie galant von dir, ihr nachzureiten! Ich wünschte, das würde einer mal für mich tun.»
«Dazu müsstest du erst fortlaufen», sagte Carolus.
Sie prustete los und schüttelte die schwarze Mähne. «Warum sollte ich vor meinem Schatz weglaufen? Ich liebe ihn ja und möchte ihn keinen Augenblick missen.» Ihre Augen wurden groß. «Entschuldige! Das hätte ich nicht sagen sollen. Aber du hast ja gesagt, dass sie in Pertuis eines Verbrechens beschuldigt wurde. Sie ist sicher aus Angst und nicht vor dir weggelaufen.»
«Aber hätte sie nur einen einzigen Tag gewartet, dann hätte sich ja alles aufgeklärt! Sie hatte es ja nicht getan! Wie konnte sie nur so unvernünftig handeln?», sagte Carolus verzweifelt.
«Na, weißt du, Vernunft und Angst, die vertragen sich nicht gut. Wenn man Angst hat, dann macht man dumme Sachen. Wusste sie denn, dass du dich für sie ins Zeug legst?»
«Nein», erwiderte Carolus traurig.
«Hast du vielleicht eine Idee, wo in Aix ich anfangen könnte zu suchen?»
Das Mädchen rieb sich nachdenklich das Kinn. «Das Kloster Saint Saveur vielleicht? Die haben ein großes Hospital,wo sie auch arme Reisende aufnehmen, für eine Nacht. Das wird aber auch vollbelegt sein. Du müsstest alle Klöster in der Stadt abklappern, das Hospital Saint Jacques, die Frauen-Klöster Sainte Claire und Saint Barthelemy am ehesten, oder? Dann die Carmeliter, die Augustiner …»
«Aber würden die auch eine Begine aufnehmen?», fragte Carolus.
«Das weiß ich wirklich nicht. Aber dahin würde ich gehen, wenn ich arm wäre und nicht wüsste, wohin. Ansonsten wäre ich jetzt während des Festes auf dem Schlossplatz. Da ist was los, da sitzt das Geld locker, da zieht es alle Bettler hin.»
«Louisa! Der Abwasch macht sich nicht von allein!», rief die Wirtin zu ihnen hinüber.
Die junge Frau sprang auf.
«Schlaf besser auf deiner Börse, pass gut auf!», flüsterte sie ihm zu, bevor sie zur Küche eilte.
Carolus schlief schlecht. Sobald es hell wurde, stand er auf und ging hinunter in die Schankstube, wo noch die Bänke auf den Tischen standen. Verschlafen und mit verquollenen Augen tauchte die Wirtin aus ihrer Kammer auf.
«Ich bleibe mindestens noch eine Nacht», sagte Carolus und zählte ihr das Geld in die Hand. Er holte sein Pferd aus dem Stall und ritt durch die Felder, vorbei an einer Ziegelei. Auf einem Hügel sah er Galgen stehen. Daran baumelte, was die Krähen übrig gelassen hatten. Schnell wandte er den Blick ab.
An der Porte des Augustins hieß man ihn absteigen.
«Ihr könnt nicht hineinreiten. Es ist zu voll da drinnen», sagten die Wachen am Tor. «Am besten lasst Ihr das Tier in einem Mietstall. Dort entlang, an der Innenseite der Stadtmauer in der Rue Sextius, da findet ihr den nächsten.» Carolus folgte ihrem Rat und stellte den Braunen dort ein.
«Eigentlich ist alles belegt», sagte der Patron. «Aber inden anderen Ställen und Herbergen ist es ebenso. Wie lange wollt Ihr bleiben?»
«Das weiß ich noch nicht. Aber ich habe ein Quartier draußen vor den Mauern. Kann ich mein Pferd den Tag über hier lassen?»
«Ja, das geht, wenn es keinen Platz im Stall braucht. Bindet es da drüben an den Baum, dort hat es den ganzen Tag Schatten. Ich kümmere mich darum, dass es zu saufen und Futter bekommt.»
Carolus zahlte eine geringe Summe im Voraus und ging zu Fuß in die Stadt. Er pfiff einem der größeren Straßenkinder, einem dicklichen Jungen mit wachen Augen. «Willst du dir einen Denier verdienen?»
«Klar, Chef!», antwortete der.
«Dann führe mich heute durch die Stadt.»
«Gemacht! Exzellenz finden keinen besseren Führer als mich!» Der Junge maß Carolus von oben bis unten: ein junger Mann, gut gekleidet, gut in Form, flacher Bauch. Er musste unverheiratet sein. «Ich kenne die
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