Die Ketzerbraut. Roman
besser achtgab, schadete sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihrem Kind.
»Eustachius Rickinger würde vor Freude jubeln, wenn es tot zur Welt käme«, dachte sie erbittert, denn der Innere und der Äußere Rat der Stadt hatten gemeinsam beschlossen, das Recht ihres Kindes auf das Erbe seines Vaters mit allem Nachdruck zu vertreten.
In dem Moment entdeckte sie einen Mann, der eben aus der Hütergasse heraustrat und Richtung Schrannenplatz abbog. Seiner Kleidung nach handelte es sich um einen Edelmann. Als sie ihn erkannte, musste sie einen Schrei unterdrücken. Es war Franz von Gigging, den Hilarius in seinem Brief als möglichen Mörder ihres Mannes bezeichnet hatte. Sie wollte ihm schon folgen und ihm diese Anklage ins Gesicht schleudern. Da machte Gigging eine Bewegung, die ihr seltsam vertraut schien. Veva blieb stehen und schüttelte verwirrt den Kopf. Die gleiche Geste hatte sie bereits in Augsburg wahrgenommen und auch schon vorher. Aber wo?
Mit einem Mal überlief es sie heiß und kalt, denn in ihr stiegen Bilder auf, die tief in ihrem Gedächtnis vergraben gewesen waren. Wie in einem Wachtraum durchlebte sie den Mord an ihrem Zwillingsbruder und sah dann, wie der Anführer der Schurken sich mit der gleichen Bewegung über die Stirn strich wie Gigging soeben. Nur hatte der Räuberhauptmann damals seine Maske berührt. Angespannt verglich sie die kräftige Gestalt des Ritters mit der des Anführers der Mörderbande und fragte sich, ob sie am helllichten Tag Gespenster sah. Wenn ihre Vermutung zutraf, hatte dieser Mann nicht nur ihren Ehemann, sondern auch ihren Bruder von seinen Leuten ermorden lassen.
Für einen Augenblick erwog sie, die Stadtknechte zu rufen und Gigging zu beschuldigen. Doch sie begriff rasch, dass sie nicht den kleinsten Beweis für ihren Verdacht vorlegen konnte. In ihrer Hilflosigkeit spann sie etliche Pläne und verwarf sie sofort wieder. Dabei folgte sie dem Ritter bis zum Schrannenplatz, wo er in die Richtung abbog, in der die Residenz des Herzogs lag.
Atemlos blieb sie stehen und presste sich die rechte Hand auf ihr wild pochendes Herz. »Er muss es sein«, flüsterte sie und drehte sich um, um nach Hause zurückzukehren.
Da walzte die Bäckerin Susanne schwergewichtig auf sie zu und vertrat ihr den Weg. »Du elende Hure!«, keifte sie und zeigte auf Vevas Leib. »Unter wem bist du gelegen, um an diesen Balg zu kommen? Mein armer Stiefsohn war es gewiss nicht. Der wollte doch gar nichts von dir wissen!«
Veva war noch zu sehr mit ihrer Entdeckung beschäftigt, um sich mit Susanne streiten zu wollen. Ohne ein Wort zu sagen, schob sie sie beiseite und schritt erhobenen Hauptes davon. Ihre Feindin stieß weitere Verwünschungen aus, doch ihr Schreien und Kreischen verhallte bald, und als Veva ins Haggengässel einbog, in dem sich ihr Anwesen befand, war nichts mehr zu hören.
Zu Hause rief Veva den Schwab zu sich. Ihre Stimme klang so scharf und gepresst, dass auch Cilli und Lina aufmerksam wurden. Sofort übertrug die Köchin die Aufsicht über die Töpfe einer der Küchenmägde und sah Lina an. »Da muss etwas passiert sein! Vielleicht ist was mit dem Kind, und die Herrin will den Schwab deswegen zur Kreszenz schicken.«
Noch während sie sprach, rannte die Köchin los. Lina folgte ihr, so schnell es ihre alten Beine zuließen. Sie fanden Veva auf ihrem Stuhl sitzend, die Hände ineinander verkrampft und mit einem hasserfüllten Ausdruck, den sie noch nie an ihr gesehen hatten.
»Was ist mit Euch, Herrin?«, sprach Cilli sie an.
Veva musterte sie mit zornglühenden Blicken. »Habt ihr zwei nichts zu tun?«
»Wir haben gedacht, es ist was mit dem Kind, und wollten helfen«, warf Lina ein.
»Das war gut gemeint. Aber mit dem Kind ist nichts.« Veva beruhigte sich ein wenig und dachte daran, wie sehr Lina an Ernst gehangen hatte. Auch Cilli hatte ihrer Familie stets treu gedient, und daher wollte sie beide nicht ausschließen.
»Bringt Bier, Brot und Wurst! Danach können wir reden. Ach ja, eine von euch sollte nachsehen, wo der Schwab bleibt.«
»Bin schon da!«, rief der Knecht, der eben die Kammer betrat und seine Herrin erwartungsvoll anblickte.
Veva sagte ihm, er solle warten, bis Cilli und Lina die Brotzeit und das Bier gebracht hatten. Als ein voller Becher vor ihr stand, trank sie ihn in einem Zug leer. Dann blickte sie ihre drei Getreuen nacheinander an. »Wisst ihr, was Hilarius über Ernsts Tod geschrieben hat?«
Die beiden Mägde schüttelten den Kopf,
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