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Die Ketzerbraut. Roman

Titel: Die Ketzerbraut. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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zeigten Risse, und der Torturm stand so schief, als wolle er bald umstürzen. Auch die Zugbrücke wirkte nicht eben vertrauenerweckend, und die Ketten, mit denen sie hochgezogen werden konnte, strotzten vor Rost.
    Innen sah die Burg noch schlimmer aus. Rinder liefen frei herum und rupften das im Hof wachsende Gras, in einer Kuhle suhlten
     sich Schweine, und die Knechte, die hier herumstanden und schwatzten, schienen lieber mit ihrem Herrn auf Raubzug zu gehen,
     als zu arbeiten.
    Vor dem Wohngebäude stieg Gigging vom Pferd und warf seinem Gast einen schwer zu deutenden Blick zu. »Bevor wir einen Schluck Wein miteinander trinken, will ich dir etwas zeigen. Komm mit!« Er packte Haselegner am Arm und zerrte ihn auf eine Tür zu, hinter der eine steinerne Treppe steil in die Tiefe führte. Sie endete in einem rechteckigen Raum, an dessen Längswänden schwere, eisenbeschlagene Türen eingelassen waren. Zwei an der Wand befestigte Fackeln spendeten flackerndes Licht, so dass Haselegner einen wuchtigen Tisch, mehrere Stühle und ein Bett erkennen konnte. Auf einem der Stühle saß ein vierschrötiger Mann und vertrieb sich die Zeit damit, mit einem scharfen Messer an einem unterarmlangen Stück Holz herumzuschnitzen. Als er seinen Herrn und dessen Gast eintreten sah, legte er Messer und Holz beiseite und stand auf.
    Mit knappen Gebärden wies Gigging ihn an, eine der Fackeln aus ihrer Halterung zu nehmen und die einzige verschlossene Tür zu öffnen. Während der Mann dies tat, fasste der Ritter Haselegner um die Schulter und schob ihn auf den Torbogen zu, hinter dem er zunächst nur Schwärze erkennen konnte.
    »Gib gut acht!«, raunte Gigging ihm ins Ohr und gab seinem Knecht erneut einen Wink. Dieser hielt nun die Fackel tiefer in den Raum.
    »Jetzt wirst du jemanden sehen, den du hier gewiss nicht erwartet hast!«, flüsterte Gigging amüsiert.
    Haselegner kniff die Augen zusammen und starrte in die Zelle. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Mann, der vom Licht der Fackel geblendet den rechten Arm als Schutz vor das Gesicht hielt. Trotzdem brauchte Haselegner keine drei Herzschläge, um zu erkennen, um wen es sich handelte. Er riss den Mund auf und wollte etwas sagen.
    Da presste Gigging ihm die linke Hand auf die Lippen und wies den Wärter mit der Rechten an, die Tür wieder zu schließen.

22.
    E rnst hatte geschlafen, als ihn ein Geräusch weckte. Unbewusst wich er bis zur Wand zurück. Da wurde die Tür aufgerissen, und das Licht einer in den Raum gehaltenen Fackel blendete ihn so, dass er nur zwei schemenhafte Gestalten erkennen konnte. Bevor seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnen konnten, wurde die Fackel zurückgezogen und die Tür ins Schloss geworfen.
    Ohne zu begreifen, was geschehen war, tastete Ernst sich zur Tür und schlug mit beiden Fäusten dagegen. »Hört ihr mich?«, rief er. »Bei Christi Blut! Sagt mir doch endlich, wer ihr seid und was ihr von mir wollt. Ich kann euch Geld für meine Freilassung geben. Nur sprecht mit mir! Ich werde sonst noch verrückt!«
    Danach lauschte Ernst, doch er erhielt keine Antwort. Stattdessen wurden die Riegel wieder vorgeschoben, und er hörte, wie sich Schritte entfernten. Weinend brach er in die Knie. »Warum zeigt sich keiner? Warum reden sie nicht mit mir?«, brach es aus ihm heraus, und mit einem Mal packte ihn der Wunsch, mit dem Schädel so lange und so heftig gegen die Wand zu rennen, bis dieser zerplatzte und die Qual damit ein Ende hätte.
    Doch dann musste er an Veva denken. Da er nicht wusste, wie lange er bereits gefangen saß, konnte er nicht einmal schätzen, wie weit ihre Schwangerschaft fortgeschritten war. Vielleicht hatte sie ihr Kind längst entbunden und ihn vergessen.
    Energisch schüttelte er den Kopf. Nein, Veva war keine Frau, die leichtfertig über sein Verschwinden hinweggehen würde. Wahrscheinlich suchte sie verzweifelt nach ihm. Doch was war, wenn den Männern, die ihn gefangen hielten, der Boden zu heiß wurde und sie ihn umbrachten, bevor sie etwas zu seiner Befreiung unternehmen konnte?
    Statt ins heulende Elend zu versinken, wie er es am liebsten getan hätte, straffte er nun den Rücken und ballte die Fäuste. Wenn er sich jetzt aufgab, blieb ihm tatsächlich nichts anderes übrig, als sich den Kopf an der Wand einzurennen. Aber solange er lebte, gab es Hoffnung auf ein glückliches Ende. Er musste nur fest daran glauben und auf seine Frau vertrauen. Mit diesem Gedanken legte er sich wieder hin, verschränkte die

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