Die Ketzerbraut. Roman
Deutsch zu hören oder gar zu lesen war ebenfalls verboten.
Bei dem Gedanken dachte Veva daran, dass immer wieder Flugblätter in den Kirchen auftauchten, die in teilweise recht derben Worten die Sittenlosigkeit der Priesterschaft und der Klöster anprangerten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es dort wirklich so schlimm zuging, doch sie hatte nicht vergessen, dass Ernst Rickinger und einige seiner Freunde, unter denen auch ihr Bruder gewesen war, einen Geistlichen dabei ertappt hatten, wie er einem weiblichen Beichtkind etwas anderes als ein frommes Gebet beigebracht hatte.
Es waren auch Söhne von Patriziern an diesem Streich beteiligt gewesen, dennoch hatte sich der Zorn der frommen Herren vor allem gegen Ernst Rickinger gerichtet, der sich schon früher durch Spottverse bei ihnen verhasst gemacht hatte. Nein, dachte sie, der junge Rickinger war keine gute Gesellschaft für ihren Bruder gewesen. Ein Mann wie er musste geradezu bei der Obrigkeit anecken, und das war nicht gut.
Als sie begriff, auf welchen Irrwegen ihre Gedanken wandelten, achtete sie wieder mehr auf die heilige Messe. Hochwürden Eisenreich war bereits bei der Predigt angekommen und malte den Kirchgängern in flammenden Worten aus, welche Qualen sie in der Hölle erleiden würden, wenn sie sich von dem Pfad abwandten, den die Priester des einzig wahren Glaubens ihnen wiesen. Seine Worte beeindruckten Veva, und sie betete, dass Christus im Falle ihres Bruders Gnade walten lassen würde, denn Bartl war noch jung gewesen und sehr übermütig. Aber da sie beide gemeinsam im Leib der Mutter herangewachsen waren, fühlte sie sich immer noch eng mit ihm verbunden.
Erneut hüpften ihre Gedanken, wie es ihnen gefiel, und als sie sich ihrer Umgebung wieder bewusst wurde, entließ der Pfarrer seine Schäflein mit einem letzten Amen. Er blieb aber vor dem Altar stehen und musterte die Kirchgänger mit einem strengen Blick. »Im Anschluss an die heilige Messe werdet ihr beichten, auf dass die lässlichen Vergehen von euch genommen werden. Hinterher könnt ihr auf dem Kirchplatz von dem hochwürdigen Herrn Cassini einen Ablass für eure Sünden, die eurer Vorfahren und eurer Nachkommen erwerben, damit euch und euren lebenden und verstorbenen Angehörigen die Qualen der Hölle erspart bleiben und die Zeit im Fegefeuer gemindert wird. Bedenkt, dass eure Väter, Großväter, Mütter, Großmütter und deren Vorfahren sündige Menschen gewesen sind, die von der Last ihrer Verfehlungen tief in das Fegefeuer getaucht wurden und dort nun zur Sühne ihrer Schuld ausgeglüht werden wie das Eisen in der Esse eines Schmieds. Hört auf ihr Wehklagen und erlöst sie von ihrer Pein, auf dass sie im Paradiese für euch beten und bei unserem Herrn Jesus Christus und der Heiligen Jungfrau Maria zu euren Gunsten sprechen.«
Bei diesen Worten duckte sich die Gemeinde, und Veva fühlte, wie eine eisige Hand nach ihrem Herzen griff. Bartl war ohne die heiligen Sterbesakramente gestorben, und das konnte ihm tausend oder noch mehr Jahre Fegefeuer einbringen. Zwar besaß sie nicht viel Geld, doch das wenige, das sie bei sich trug, wollte sie für das Seelenheil ihres Bruders opfern. Vorher aber musste sie beichten, und so stellte sie sich am Ende der langen Reihe von Frauen an, die gleich ihr darauf warteten, im Beichtstuhl niederzuknien.
An diesem Tag waren drei Beichtstühle für Frauen, drei für Männer besetzt, und so rückte die Schlange zwar langsam, aber stetig nach vorne. Veva fand es seltsam, das ausgerechnet die alten Frauen, deren Frömmigkeit fast sprichwörtlich war, sich am längsten im Beichtstuhl aufhielten, obwohl ihre Sünden gewiss eher klein waren. Vielleicht glaubten sie angesichts der Nähe des Todes, ihr Gewissen besonders erleichtern zu müssen.
Hinter ihr unterhielten sich zwei Frauen. Zuerst achtete Veva nicht auf sie, doch dann merkte sie, dass sie selbst Gegenstand des Gesprächs war.
»… schon eigenartig, dass Veva ohne jeden körperlichen Makel davongekommen ist. Was ich von diesen Räubern gehört habe, schneiden die jedem ihrer Gefangenen, sei es Mann oder Weib, als Erstes die Ohren ab. Vor einem Jahr habe ich bei einer Wallfahrt nach Andechs eine Frau aus Miesbach getroffen, die nur drei Tage in der Gewalt dieser Schurken gewesen war. Die Kerle hatten ihr das Gesicht mit dem Messer zerschnitten und sie unten, du weißt schon wo, so zugerichtet, dass sie mit keinem Mann mehr verkehren konnte. Sie soll kurz darauf gestorben sein, habe ich
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