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Die Ketzerbraut. Roman

Titel: Die Ketzerbraut. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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aufs Bett und lauschte dem Stundenschlag von Sankt Peter.
    Plötzlich riss es ihn hoch, und er begriff, dass er eingenickt sein musste. Gleichzeitig vernahm er die Kirchturmuhr und zählte mit. Sie schlug die volle Stunde, und danach noch zweimal. Mitternacht war also schon zwei Stunden vorüber. Er musste sich sputen. Mit den Schuhen in der Hand verließ er seine Stube. Unbemerkt kam er zur Hintertür, zog vorsichtig den Riegel zurück und trat auf den Hof hinaus.
    Hasso merkte, dass sich etwas tat, und gab Laut, verstummte aber, als er Ernst erkannte. Dieser zog sich die Schuhe an, holte das Päckchen mit den Flugblättern aus der Hundehütte, öffnete das Tor in der Einfriedung und huschte leise wie ein Schatten durch die Dunkelheit. Unbemerkt gelangte er zur Heiliggeistkirche. Als er vorsichtig das Portal öffnete, sah er, dass eine Kerze im hinteren Teil des Kirchenschiffs brannte und nur die nähere Umgebung in flackerndes Licht tauchte. Ein Stück weiter vorne entdeckte Ernst einen schlafenden Mönch, der wohl Wache hätte halten sollen.
    Um festzustellen, ob der Wächter sich verstellte, wartete Ernst, bis er sicher sein konnte, dass der Kuttenträger tatsächlich träumte, und schlich dann durch das düstere Kirchenschiff. Es war nicht ganz einfach, die Flugblätter im vorderen, im Dunkeln liegenden Teil zu verteilen, doch er war oft genug hier drinnen gewesen, um sich zurechtzufinden. Lächelnd kehrte er schließlich zur Tür zurück, drehte sich aber noch einmal zu dem Mönch um und legte diesem ein Flugblatt auf die vor dem Bauch verschränkten Hände. Dann machte er, dass er davonkam.
    Draußen musste er sich auf den Daumen beißen, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Auf die Weise würde Portikus niemals diejenigen fangen, die Luthers Schriften in der Stadt verteilten. Er war nur einer davon, allerdings der Einzige, der es wagte, die Flugblätter in den Kirchen auszulegen. Die anderen schmuggelten die Schriften in die Stadt und gaben sie an jene weiter, denen sie vertrauen konnten.
    Mittlerweile hatte Ernst das Stadtviertel gewechselt und sah nun den aufstrebenden Turm von Sankt Peter vor sich. Ein Blick bewies ihm, dass der Wächter, den Doktor Portikus hier eingesetzt hatte, aus anderem Holz geschnitzt war als der Mönch in der Heiliggeistkirche. Der Mann wanderte im Kirchenschiff umher, starrte immer wieder misstrauisch zu der einzigen nicht versperrten Pforte und murmelte schließlich ein Gebet, um sich wach zu halten.
    Hier ist nichts zu machen, dachte Ernst und wollte schon weitergehen. Da stieß der Wächter einen knurrenden Laut aus und verließ eiligen Schrittes die Kirche. Dabei lief er so nahe an Ernst vorbei, der sich in den Schatten eines vorspringenden Pfeilers gedrückt hatte, dass er ihn hätte berühren können.
    Ernst sah ihm nach und vermochte der Einladung in die nun leere Kirche nicht zu widerstehen. So rasch er konnte, legte er die Flugblätter aus. Doch als er wieder ins Freie treten wollte, hörte er den anderen zurückkommen. Sofort versteckte er sich hinter der Kirchenbank, auf der sonst die geistlichen Herren Platz nahmen, und wagte kaum zu atmen. Wenn der Wächter die verteilten Flugblätter entdeckte, würde er nicht schnell genug aus der Kirche hinauskommen.
    In dem Augenblick verfluchte Ernst sich wegen seines Leichtsinns. Ich hätte den Packen Papier doch besser verbrennen sollen, schoss es ihm durch den Kopf. Jetzt würde er seine Hochzeitsnacht im Kerker feiern und auf das warten müssen, was Portikus sich für ihn ausdachte.
    Noch während er nach einem Ausweg suchte, vernahm er draußen Schritte. Einer der Stadtknechte, die während der Nacht über die öffentliche Ordnung wachten, steckte den Kopf durch die Pforte und sprach den Mönch an. »Na, hast du schon einen erwischt?« Es klang so spöttisch, als mache sich der Mann über Portikus’ Bestrebungen, den Verbreiter der verhassten Schriften zu finden, lustig.
    Der Mönch schien dies ebenso zu empfinden, denn er antwortete nicht gerade freundlich. »Würde deinesgleichen an den Toren besser aufpassen, könnte dieser Unflat nicht in die Stadt geschmuggelt werden! Dann müsste ich mir auch nicht eine Nacht nach der anderen um die Ohren schlagen.«
    »Sollen wir die Leute, die in die Stadt kommen, vielleicht nackt ausziehen und ihre Wagen und Karren auseinandernehmen?«, fragte der Stadtknecht bissig. »Wir haben genug Arbeit und müssen nun auch noch in der tiefsten Nacht Patrouille gehen, weil euer

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