Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Gespräch. » Aber mein Vater sagte immer, wer mit beiden Händen gut zupacken kann, der taugt viel mehr als so ein Gelehrter in seiner verstaubten Stube. «
Als im Hintergrund Gekicher erklang, wurde Cadichona so rot wie ein überreifer Granatapfel.
» Ich meinte nur, dass… dass… also ich wollte niemanden kränken, der lesen kann. «
» Das hast du auch nicht. Jedes Talent kann wichtig sein, um Gottes Kirche aufzubauen « , entgegnete Esclarmonde sogleich. Cadichona lächelte, während ihre Gesichtsfarbe nun ins Purpur wechselte.
» Die Mädchen der Armen sollten vor allem das Spinnen, Weben und Nähen lernen « , meinte die Gräfin dann an Adelind gewandt. » Die Jungen werden von unseren Brüdern unterrichtet, um tüchtige Handwerker zu werden. Nur die wirklich Begabten unter ihnen brauchen höhere Bildung. In diesem Fall sind sie natürlich auch eine Bereicherung für unsere domus. «
» Damit habt Ihr sicher recht, Dòna « , erwiderte Adelind. » Aber wie soll diese Begabung erkannt werden, wenn sie nicht die Möglichkeit erhalten, das Lesen zu lernen? «
Sie dachte an Mabile, deren scharfen Verstand sie nicht vergeudet sehen wollte. Esclarmonde neigte den Kopf leicht zur Seite.
» Nun, wie du meinst. Ein wenig Unterricht schadet ihnen mit Sicherheit nicht. «
Dann drehten sie gemeinsam eine Runde durch das Spital. Die Gräfin musterte Ausschlag, stinkenden Eiter und auf Verbänden getrocknetes Blut mit gefasster Miene, sprach ein paar tröstende Worte und versicherte, weitere Gelder für die Versorgung der Kranken zu schicken, was Adelinds Hoffnungen erfüllte. Dann stellte sie sich vor alle Bewohnerinnen der domus und straffte die Schultern.
» Es gibt noch etwas Wichtiges zu bereden. Ich würde Ursanne, Adelind und Rosa bitten, mir noch einmal in den Gemeinschaftssaal zu folgen. «
Leises Gemurmel erklang, doch zogen sich jene, deren Namen nicht genannt worden waren, ohne Widerspruch zu ihren Aufgaben zurück. Auch Hildegard ging gleichmütig, doch vernahm Adelind den leisen Seufzer eines Mädchens, das unmittelbar hinter ihr gestanden hatte.
» Olivette hilft sehr fleißig im Spital mit « , warf sie ein, denn ihr wurde erst jetzt bewusst, dass die Gräfin ihre Tochter bisher kaum beachtet hatte. Diese Worte zeigten die gewünschte Wirkung. Olivette strahlte, und ihre Mutter lächelte sie liebevoll an.
» Meine Tochter soll natürlich auch mitkommen « , sagte die Gräfin und schenkte Adelind einen Blick, der fast dankbar schien. Adelind überlegte, ob sie selbst die Berufung zum Verbreiten des wahren Glaubens jemals für wichtiger halten könnte als ihr eigenes Kind. Vermutlich würde sie es nie erfahren, denn ihr stand ein Leben in Keuschheit bevor, wie es den Wünschen des Herrn entsprach.
Sie kehrten in die domus zurück und nahmen an einem großen Tisch Platz, wo die Frauen der Gemeinschaft stets ihre Mahlzeiten verzehrten. Drei der Mädchen, die einst als Bettlerinnen aufgenommen worden waren, brachten zunächst einen hellen Brotfladen herein, den Esclarmonde desm Ritual gemäß in kleine Teile brach und an die Anwesenden verteilte, nachdem gemeinsam das Paternoster gebetet worden war. Gewöhnlich war dies Ursannes Aufgabe, doch nun hatte sich die Rangordnung geändert. Anschließend trugen die Mädchen ein Mahl aus Fisch, Gemüse und Brot auf. In den Krügen schwamm Honigwasser, doch nachdem Esclarmonde mit einer der Bediensteten kurz getuschelt hatte, wurde auch Wein gebracht.
» Ich habe letztes Jahr an dem Konzil unserer Kirche in Mirapeis teilgenommen « , begann die Gräfin. » Dort wurde auch die Notwendigkeit besprochen, dass wir uns eines Tages vor einem Angriff schützen müssten. «
Adelind verspürte ein Frösteln, als glitten Eisklumpen an ihrer Haut hinab. Sie erinnerte sich an eine Reitgerte, die drohend über ihrem Gesicht geschwebt hatte, sah die glänzenden Tropfen von Speichel an sich vorbeifliegen, während eine donnernde Männerstimme sie Ketzerin nannte.
» Gibt es denn Anzeichen, dass ein Angriff bevorsteht? « , fragte sie sogleich. Esclarmondes Antwort war ein beruhigendes Lächeln. Adelind staunte erneut, wie fürstlich und vornehm die Gräfin in schlichtem Schwarz auszusehen vermochte, nur von einer Kette aus feinen Rubinen geschmückt, die an ihrem schmalen, von Falten durchfurchten Hals lag.
» Es hat sich nicht viel verändert « , erzählte Esclarmonde. » Der Papst fordert den Comte de Tolosa auf, gegen uns vorzugehen. Kürzlich fiel ihm ein, dass
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