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Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Äbtissin zu sein. Vor einigen Jahren hat Pater Oldrich uns verlassen. Nun wird auch Pater Severinus fortgehen, denn seine Dienste werden an einem anderen Ort benötigt. Der Propst von Sankt Kunibert wird uns bald schon einen anderen Priester schicken. «
    Adelind fühlte eine schwere Last von ihren Schultern gleiten. Die Welt war ein viel angenehmerer Ort ohne Vater Severinus in der Nähe.
    » Und außerdem « , fuhr Mutter Mechtildis auch schon fort, » wird Schwester Hildegard uns im Laufe der nächsten Woche verlassen. Da sie sich trotz ihres Gelübdes nicht dazu berufen fühlt, eine Braut Christi zu sein, habe ich beschlossen, sie ins weltliche Leben zurückkehren zu lassen. Der Propst ist mit meiner Entscheidung einverstanden. «
    Staunendes Murmeln erklang. Die Äbtissin hob die Hand, um an die Schweigepflicht zu erinnern, von der nur sie allein sich enthoben fühlte. Adelind bekämpfte mit aller Kraft den Drang, aufzuspringen und ihre Fragen durch den Saal zu brüllen. All dies ergab keinen Sinn, denn Hildegard war diejenige von ihnen beiden, die niemals mit ihrem Schicksal als Nonne gehadert hatte. Es fiel schwer, sie sich in einem anderen Leben vorzustellen, so vergeistigt und weltabgewandt, wie sie war. Wollte man sie einfach nur heimlich in ein anderes Kloster schicken und neugierigen Fragen vorbeugen, indem man den anderen Nonnen die Wahrheit verschwieg? Sie versuchte, sich von dieser Erklärung zu überzeugen, obwohl sie zahlreiche Widersprüche aufwies. Das Atmen fiel ihr wieder leichter. Sie würde erst nach dem abendlichen Mahl eine Gelegenheit finden, mit Mutter Mechtildis zu reden, und bis dahin musste sie einen einigermaßen gefassten Eindruck machen. So zwängte sie Brot, Käsewürfel und Speckscheiben in ihren Magen, obwohl ihr jeglicher Appetit vergangen war. Indem sie alle Aufmerksamkeit auf das Essen richtete, konnte sie die Versuche der anderen Schwestern abwehren, ihr durch Gesten oder stumme Lippenbewegungen Fragen über Hildegard zu stellen.
    Die Äbtissin beendete das Mahl nun früher als gewöhnlich, denn sie wollte sich bis zum Komplet in ihren eigenen Gemächern der Verwaltung des Klosters widmen. Adelind wartete ab, bis die anderen Schwestern sich auf Bibliothek, Skriptorium und Kapitelsaal verteilt hatten, um dann heimlich die schmale Wendeltreppe zu den Privaträumen der Äbtissin zu erklimmen. Sie klopfte zögernd. Sie wusste, ihr Verhalten war dreist, denn sie sollte warten, bis sie gerufen wurde. Mutter Mechtildis bat sie ohne Zögern herein. Sie sah nicht überrascht aus und glücklicherweise auch nicht verärgert.
    » Benedicte « , grüßte Adelind mit ehrfurchtsvoll gesenktem Haupt. » Dominus « , ergänzte Mechtildis die Grußformel. » Fassen wir es kurz, meine Tochter. Du möchtest wissen, was nun mit Hildegard geschehen soll. «
    » So ist es, ehrwürdige Mutter « , entgegnete Adelind. Mutig hob sie den Kopf. Das Gemach der Äbtissin war klein, aber mit prächtigen Möbeln eingerichtet. Drei Kerzen flackerten auf dem Tisch, hinter dem Mutter Mechtildis thronte, und erhellten das große Kreuz an der Wand sowie zahlreiche Statuen, die, wie Adelind einfiel, durchaus gut in den Kapitelsaal oder die Kirche gepasst hätten.
    » Nun « , begann die Äbtissin, » deine Schwester wird uns verlassen müssen, wie ich schon sagte. Ich habe einen Brief an euren Vater, den Herrn Ullrich von Hohenstein, geschrieben und ihn gebeten, die zum Leben in Keuschheit sichtlich ungeeignete Tochter wieder bei sich aufzunehmen. Seine Antwort kam sehr schnell. «
    Sie holte eine Schriftrolle aus dem Regal hinter ihrem Stuhl, um sie Adelind entgegenzuhalten.
    » Möchtest du selbst lesen, mein Kind? Oder soll ich es für dich tun? «
    Adelind streckte ihre Hand aus. Mit schnell pochendem Herzen beugte sie sich vor, um im Licht der Kerzen besser sehen zu können. Als sie versuchte, das Pergament aufzurollen, entglitt es mehrfach fast ihren Fingern, deren Zittern sie nicht zu bändigen vermochte. Schließlich taten sich Buchstaben vor ihr auf. Der Text war auf Latein, ihr Vater musste über einen eigenen Schreiber verfügen, denn sie vermochte den riesigen, lärmenden Mann, der vage in ihrer Erinnerung schwebte, nicht mit Bildung in Einklang zu bringen.
    Sie las. Die Worte schlugen wie Hammerschläge in ihr Bewusstsein, vermochten zunächst keinen klaren Zusammenhang zu ergeben, doch nach und nach begriff sie die wesentliche Botschaft: Die verderbte, sittenlose Tochter war auf der väterlichen Burg

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