Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
jetzt schlafen gehen « , schlug Esclarmondes Tochter vor, denn sie hatte wohl alles gesagt, das sie Adelind mitteilen wollte. Schweigend kehrten sie gemeinsam in die Scheune zurück. Peyres lag bereits ausgestreckt da, und obwohl seine Augen noch offen waren, wandte er ihnen nicht den Kopf zu. Olivette legte sich neben ihn. Adelind wählte ihr Lager so weit wie möglich von den beiden entfernt, auch wenn das Stroh dort rar zu werden begann und kalter, harter Erdboden sich gegen ihren Rücken presste. Sie sehnte sich nach Einsamkeit. Lange starrten ihre Augen auf das Dach der Scheune. Sie hörte Ratten vorbeihuschen und beobachtete, wie die graue Dämmerung sich in nächtliche Schwärze verwandelte. Der Schlaf wollte nicht kommen. Sobald sie die Augen schloss, sah sie Hildegard vor sich, lief gemeinsam mit ihr durch den kleinen, schmutzigen Hof der Burg, in der sie aufgewachsen waren, legte an ihrer Seite das Gelübde im Kloster ab. Sie erinnerte sich an das schnelle Erröten ihrer Schwester bei jeder anstößigen Bemerkung, an Hildegards verbissenen Ernst, ihre tiefe Frömmigkeit und an jene tief in ihrem Herzen verborgene Güte, die sie gegenüber wehrlosen, leidenden Menschen hatte plötzlich stark werden lassen. Adelind presste die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz zu schreien. Ihr ganzer Körper tat weh, blutete aus unsichtbaren Wunden. Sie wusste nicht, wie sie diese Nacht überstehen sollte, sehnte sich nach einem Weinschlauch oder einem erlösenden Schlag auf den Kopf. Auf allen vieren kroch sie aus der Scheune, in der Hoffnung, an frischer Luft ein wenig Ruhe zu finden. Erst nach mühsamem Tasten fand sie die Ausgangstür und so auch den Weg ins Freie. Die Weite des Sternenhimmels über ihr tat wohl, ließ sie selbst klein und unwichtig werden. Vor der Scheune kauernd spürte sie ihre Lider endlich schwer werden. Mit Erleichterung ließ sie sich ins Dunkel fallen, das die Erschöpfung ihr gönnte.
» Es sind drei. Die Frauen sicher Katharer, weil sie kein Fleisch essen wollten. Bei dem Mann bin ich mir nicht sicher, aber er hat ihnen auf jeden Fall geholfen. «
Adelind wusste nicht, wessen Stimme sie geweckt hatte, aber auf einmal waren all ihre Sinne so scharf wie Pfeilspitzen.
» Diese Leute stehen Gott nahe. Wir sollten ihnen helfen. Der Vescomte will es so « , widersprach nun ein anderer, etwas älterer Mann. Adelind drängte sich an die Wand der Scheune. Sie wäre gern wieder hineingekrochen, fürchtete aber, dadurch verräterische Geräusche zu machen.
» Der Vescomte sitzt jetzt in einem Kerker. Er hat nichts mehr zu sagen. Wir haben einen neuen Herrn, und wenn wir ihm diese Leute ausliefern, dann belohnt er uns vielleicht und verschont auf jeden Fall unser Dorf. «
Danach murmelten mehrere Stimmen durcheinander. Adelind spitzte die Ohren. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, wodurch sie sich auf einmal sehr lebendig fühlte.
» Ich schicke meinen Sohn nach Carcassona, um die Botschaft zu übermitteln. Ihr hindert sie morgen daran abzureisen. Versprecht ihnen ein sicheres Versteck, dann gibt es keine Schwierigkeiten « , beschloss der erste Mann schließlich. Nach einigem Getuschel erklangen Schritte, die deutlich machten, dass eine Versammlung der Dorfbewohner sich auflöste.
Adelind atmete tief und regelmäßig. Es war jetzt so leicht, als hätte Gott ihr einen Weg gezeigt. Sie musste nur still sitzen bleiben, warten, bis jemand kam, der sie verhaftete, wie es ihr bestimmt war. Olivette konnte abschwören, sie würde nicht sterben müssen. Peyres, nun, sie wusste nicht, was mit ihm geschehen würde. Er hatte sich dem Kreuzfahrerheer angeschlossen und war dann nochmals zum Verräter geworden, indem er wieder die Seiten wechselte. Vermutlich drohte ihm der Tod, wenn Simon de Montfort seiner habhaft wurde. Aber hatte er nicht verdient zu sterben?
Eine Weile blieb sie nur still sitzen und beschloss, einfach mit geschlossenen Augen vor sich hin zu dämmern, bis das Schicksal seinen Lauf genommen hatte. Sie war so unendlich müde. Wieder zogen Bilder hinter ihren Lidern vorbei, sie sah Hildegard auf der Wiese vor ihres Vaters Burg eine Kette aus Blumen flechten, die sie ihr stolz um den Hals legte. Ihre Miene war ernst, doch die blauen Augen lachten vor Freude, der Schwester ein Geschenk machen zu können. Danach knieten sie gemeinsam vor der großen Marienstatue in der Klosterkirche, während ihre Köpfe sich langsam einander zuneigten, bis ihre Schleier zu einer Einheit aus dunklem Stoff
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