Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
zusammenwuchsen. Hildegard waren zur Buße für Hochmut fünfzig Ave Maria auferlegt worden, und Adelind war ihr dabei freiwillig zur Seite gestanden. Das Bild verschwamm, Finsternis machte sich breit, plötzlich erhellt von roten und gelben Flammen, die einen Körper auffraßen. Heisere, spitze Schreie füllten Adelinds Kopf, der an ihnen zu zerspringen drohte. Sie sah Rosas Gesicht als eine Fratze von Schmerz, dann wuchs plötzlich goldfarbenes Haar aus dem zunächst kahlen Schädel. Hildegard sah auch im Tod noch wunderschön aus. Doch ihre Haut begann sich dunkel zu färben, das Haar kräuselte sich in der Hitze. Auf einmal war es ein Mann, der lichterloh brannte. Auch er schrie nicht, sah nur mit großen Augen durch die Flammen hindurch. Adelind erkannte kaum Auflehnung gegen sein Los in seinem Blick, nur stumme, tiefe Trauer. Sie zuckte. Ihre Lider öffneten sich, und eine tiefe Unruhe zwang sie, die Beine zu strecken. Die Luft schmeckte so frisch und klar, vermochte die Erinnerung an den Geruch verbrannten Fleisches aber nicht zu verjagen.
Rosa und Hildegard konnte niemand mehr retten. Peyres, Olivette und sie selbst aber lebten noch. Sobald die Ritter Simon de Montforts an diesem Ort eingetroffen waren, konnten sie beginnen, ihre letzten Tage in dieser Welt zu zählen.
Es war richtig so. Es war Gottes Wille, sagte sie sich, doch etwas in ihr lehnte sich störrisch auf, ließ die Bilder qualvoll verbrennender Menschen in ihrer Erinnerung immer greller und grauenhafter werden. Sie schüttelte sich. Bereits im Kerker hatte sie geahnt, dass sie nicht stark genug war, den Tod anzunehmen. Vermochte sie ihn nun auch anderen Menschen zu bringen?
Sie tat noch drei Atemzüge, dann tastete sie sich langsam in die Scheune zurück, ließ dabei die Tür offen, um besser sehen zu können. Olivette lag als zusammengerolltes Bündel in tiefem Schlaf, doch Peyres hob den Kopf.
» Wo warst du? « , sprach er seine ersten Worte zu Adelind an diesem Tag. Es klang ebenso barsch, wie er früher oft mit Hildegard geredet hatte.
» Draußen « , flüsterte sie nur, denn weitere Erklärungen schienen ihr überflüssig. » Wir müssen weg. Sie wollen uns verraten. «
Er fragte nicht weiter nach, sondern rüttelte Olivette wach. Hastig und ohne viele Worte sammelten sie ihre spärlichen Habseligkeiten ein, um in die dunkle Nacht hinauszukriechen. Adelind folgte den schattenhaften Umrissen von Peyres’ Gestalt, stolperte nun über Baumwurzeln, um erneut um ihr Leben zu laufen. Lange hörte sie nichts weiter als das Knacken von Zweigen und ihre eigenen hastigen Atemzüge. Der Wald nahm kein Ende, schützte sie vor neugierigen Blicken, hielt sie gleichzeitig aber gefangen. Erst als es langsam zu dämmern begann, tauchte endlich eine Lichtung vor ihnen auf. Der Geruch frischen Taus stieg in Adelinds Nase. Sie lief los, begeistert, endlich mehr sehen zu können als den nächsten Baumstamm vor ihrem Gesicht, ließ sich auf das Gras fallen und sah zum schiefergrauen Himmel hoch, an dem die ersten Wolkengebilde sich abzuzeichnen begannen. Auf einmal war sie glücklich, noch Teil dieser Welt zu sein.
» Wir müssen weiter « , herrschte Peyres sie an. » Bleib hier nicht sitzen, es wird hell, und man kann dich schon aus der Ferne sehen. «
» Können wir uns nicht für eine Weile ausruhen? Wir sind fast die ganze Nacht gelaufen « , wagte Olivette zaghaft zu fragen. Peyres sah Adelind stirnrunzelnd an.
» Haben sie jemanden losgeschickt, um Simon de Montfort zu benachrichtigen? «
Sie nickte nach kurzem Zögern.
» Dann müssen wir uns beeilen « , bestimmte er. » Die Leute aus dem Dorf werden gleich aufwachen und feststellen, dass wir weg sind. Es ist nicht auszuschließen, dass sie uns nachsetzen, um den neuen Landesherrn nicht zu enttäuschen. Aber selbst wenn sie das nicht tun, so dürften in den nächsten Tagen ein paar Ritter eintreffen, um uns zu holen. Sie werden nicht mit leeren Händen zurückkehren wollen. Wir müssen damit rechnen, dass sie uns auf Pferden nachsetzen, also wesentlich schneller sind als wir. «
» Aber sie wissen nicht, in welche Richtung wir gelaufen sind « , wandte Adelind ein. Ihr fiel ein, dass sie es selbst auch nicht wusste. Seit ihrem Aufbruch hatte sie sich wie ein lebloses Bündel der Führung von Peyres überlassen, da es ihr völlig gleich gewesen war, wohin sie ging.
» Wenn sie nicht ganz dumm sind, können sie sich ausrechnen, dass wir in die Grafschaft Foix wollen « , entgegnete Peyres.
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