Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Wirken voraussehen zu können. Antonius musterte weiterhin Hildegard, ohne von ihr beachtet zu werden.
» Wenn Ihr bequemer sitzen wollt, könnt Ihr meine Decke haben, um sie unter Euren Kopf zu legen « , schlug er nach einer Weile des Schweigens vor. Hildegards Augenlider flackerten nur kurz, erst nachdem Adelind sie vorsichtig angestupst hatte, richtete sie ihren Blick für einen Moment auf ihren Verehrer.
» Ihr seid sehr gütig, junger Herr, aber meinetwegen sollt Ihr nicht frieren « , sagte sie und lächelte ihn an. Obwohl sie gleich darauf wieder die Augen schloss, strahlte Antonius, als habe jemand in seinem Kopf eine Kerze angezündet.
» Ihr seid Zahnkünstler « , führte Adelind das Gespräch fort, da ihre Schwester endgültig eingeschlafen war. » Es hört sich wie eine schwere Aufgabe an. «
Antonius nickte ernst.
» Ich füge Menschen für eine Weile große Schmerzen zu, um sie von langwierigem Schmerz zu befreien « , erzählte er. » Mein Vater brachte mir das Zähnebrechen bei. Leider starb er an einer Krankheit, als ich noch ein Knabe war, und ließ mich allein zurück. Peyres las mich am Straßenrand auf, nachdem zwei Straßenräuber mir gerade meine ersten selbst verdienten Münzen gestohlen hatten. Seitdem ziehe ich mit ihm herum. «
Adelinds Stimmung wurde ein klein wenig zuversichtlicher.
» Peyres scheint ein hilfsbereiter Mensch « , sagte sie zufrieden. Wieder stieß Simon eine Mischung aus Husten und Kichern aus.
» Er ist nicht übel. Die Weiber mögen ihn. Aber er hört nur auf seine Schwester, und allein ihretwegen zeigt er sich manchmal barmherzig, damit sie ihm seine sonstigen Fehler verzeiht. Aber ich will mal nicht klagen, ohne ihn wäre auch ich schon längst verhungert. «
Adelind verdaute langsam die Neuigkeiten. Sie dachte an Marcias Arm, der Peyres seit der Abfahrt umschlungen hielt. Lag in dieser Geste nicht ein wenig Trotz oder gar Verzweiflung?
» Wer ist diese Schwester denn, von der er sich Vorschriften machen lässt? « , wollte sie wissen.
» Eine Heilige « , erklärte Simon. » Eine richtige Heilige, aber erst seit einigen Jahren. Vorher war sie nicht anders als Marcia. «
Antonius schubste den Alten sanft an.
» Wir sollen nicht über diese Dinge reden « , sagte er leicht verlegen an Adelind gewandt. » Peyres wünscht das nicht. «
Adelind nahm es hin. Als der Karren bald darauf in einer kleinen Ortschaft zum Halten kam, verdrängte die Aufregung über ihren versprochenen Auftritt alle Neugierde.
Ungefähr zehn Häuser aus Holz und Lehm reihten sich um einen Platz, auf dem der Karren zum Stillstand gekommen war. Da der Wind eisig pfiff und dunkle Wolken am Himmel zusammentrieb, konnte nicht weiter auf das Auftauchen der nächsten Stadtmauer am Horizont gewartet werden. Peyres band das Maultier an einem Pfosten fest, während neugierige Gesichter allen vier Gestalten entgegenspähten, die zwischen den ledernen Planen des Wagens hervorkrochen. An diesem kleinen Ort bekamen sie wenigstens Aufmerksamkeit, dachte Adelind, obwohl sie sich nicht sicher war, ob ihr dieser Umstand gefiel.
Peyres sprang bereits herum, klatschte in die Hände und versprach eine Darbietung, die alle Anwohner nicht so schnell vergessen würden. Marcia hatte sich inzwischen über einen Spiegel gebeugt und fuhr sich rasch mit ihren Fingern durch die wilde Lockenpracht. Adelind betrachtete die schwarz glänzenden, kräftigen Kringel mit Bewunderung. Ihr fiel ein, dass sie sich nicht mehr erinnern konnte, welche Farbe ihr eigenes Haar hatte. Plötzlich tat diese Erkenntnis weh. Marcia holte ein winziges Töpfchen aus der Tasche, die an ihrem Gürtel hing, und schmierte ihre Lippen mit einer blutroten Paste ein, die sie dann auch auf ihren Wangen verrieb. Schließlich wandte sie sich Adelind zu, als habe sie deren Blick wie eine Berührung gespürt.
» Hier, mach dich auch etwas hübsch! « , meinte sie gnädig und reichte ihr den Spiegel. Adelind zögerte einen Augenblick, denn Eitelkeit war sündhaft. Doch die Neugier, endlich ihr eigenes Gesicht kennenzulernen, überwog. Es war notwendig, sagte sie sich.
Sie starrte sich lange an. Ein Sprung auf der glatten Oberfläche zerschnitt ihr Spiegelbild in zwei Hälften, eine hohe Stirn unter dem Nonnenschleier war auf der oberen Seite zu sehen. Schiefergraue Augen blickten ihr entgegen, unerwartet klug in ihrem Ausdruck und von langen Wimpern überschattet. Mit etwas gutem Willen waren sie fast schön zu nennen. Unterhalb des Sprungs
Weitere Kostenlose Bücher