Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
musste. Ein Weinbecher lag in seiner Hand, und er wippte mit beiden Füßen zur Melodie. Nach jeder Darbietung ging Simon mit einem Beutel herum, in dem die Münzen allmählich zu klimpern begannen. Adelind atmete erleichtert auf. Der Auftritt war ein solcher Erfolg, dass man sie selbst vermutlich nicht mehr brauchte. Als es bereits zu dämmern begann, hörte sie ihren Magen knurren und hoffte, die Zuschauer würden ihnen allen eine großzügige Mahlzeit gönnen.
Da wandte Peyres sich plötzlich um, ergriff seine Fiedel, um sie wegzuräumen, und zog auch Marcia zur Seite.
» Nun eine Sängerin, die nach unseren frivolen Scherzen den Segen Gottes über diesen Ort bringen kann, eine wahrhaft fromme Jungfer « , verkündete er. Adelinds Herz plumpste in ihre Magengegend. Eine vernichtendere Vorstellung hätte sie sich kaum ausmalen können, doch passte sie zu dem Nonnenschleier auf ihrem Kopf. Anders hätte Peyres ihre Erscheinung den Leuten kaum schmackhaft machen können.
Sie trat vor, während der Schweiß in Bächen über ihren Körper floss. Zahlreiche Augenpaare bohrten sich in ihren Körper, drohten sie zu erstechen. Sie würde jene Marienhymne singen, die im Kloster ihr allerliebstes Lied gewesen war, beschloss sie in diesem Augenblick. Vermutlich würde dies ihren Abschied von Peyres und seinen Leuten bedeuten, aber es sollte wenigstens ein eindrucksvoller Auftritt werden, mit dem sie versagte. Adelind schloss die Augen, damit sie die enttäuschten Gesichter der Zuschauer nicht würde sehen müssen. Sie sog Luft in ihre Lungen, und als sie vermeinte, ein Kichern zu hören, ballte sie ihre Hände zu trotzigen Fäusten.
Stabat mater dolorosa
Iuxta crucem lacrimosa,
Dum pendebat filius;
Cuius animam gementem,
Contristantem et dolentem
Pertransivit gladius.
Sobald sie sich durch die erste Strophe gekämpft hatte, wurde es leichter. Sie richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die richtige Atmung und Tonhöhe, wie sie es den Novizinnen im Kloster stets gepredigt hatte. Falls noch jemand über sie lachen sollte, musste sie ihn mit der Kraft ihrer Stimme übertönen.
O quam tristis et afflicta
Fuit illa benedicta
Mater unigeniti!
Quae maerebat et dolebat,
Et tremebat, dum videbat
Nati poenas incliti.
Adelind ließ sich von der Melodie treiben, wurde von ihr emporgerissen, sodass alle Sorgen plötzlich nur noch Teil einer winzigen Welt zu ihren Füßen waren. Unter ihren geschlossenen Lidern sah sie Lichter, die das gütige Gesicht einer Mutter umschwebten, zu deren Ehren sie sang.
Dann war das Lied zu Ende. Sie trennte sich schweren Herzens von ihm, denn nun wurde sie wieder in die elende, erbarmungslose Wirklichkeit zurückgestoßen. Doch in ihrem Kopf schwangen noch einige Töne der Melodie, als wolle die schmerzensreiche Mutter ihr Trost zusprechen. Völlig ruhig öffnete Adelind ihre Augen. Die Fäuste hatten sich schon längst entspannt. Ganz gleich, was geschah, sie würde den göttlichen Willen annehmen.
Es war sehr still geworden. Die Leute starrten sie stumm an, dann hörte sie verhaltenes Gemurmel. Ratlos sah sie sich nach Peyres um, dessen dunkle Augen an ihr hingen. Marcias Lippen waren in ihrem Mund verschwunden, eine steile Falte lag zwischen ihren Brauen, doch blickte sie Adelind eher staunend denn missbilligend an.
» Um der heiligen Mutter willen, deren Größe wir in diesem Lied spüren konnten « , rief Peyres plötzlich und riss Simon den Beutel mit den Münzen aus der Hand, um noch einmal die Runde zu machen. Die Anwohner füllten ihn großzügig, selbst von dem Pfarrer kam eine milde Gabe.
» Ich habe es Euch doch gesagt « , verkündete Hildegard und legte ihren Arm um Adelinds Taille. » Sie singt wunderschön. «
Niemand widersprach. Der Pfarrer tuschelte eine Weile mit einem groß gewachsenen Mann in sauberer Kleidung, der an diesem Ort wohl das Amt des Schulzen ausübte. Nach der kurzen Unterhaltung trat er vor und räusperte sich zum Ausdruck seiner Wichtigkeit.
» Aus Dankbarkeit für diese unterhaltsame, aber auch erbauliche Darbietung laden wir euch zu einem gemeinsamen Mahl in der Weinschenke. «
Marcia gönnte beiden Männern ein zuckersüßes Lächeln. Das runde Gesicht des Pfarrers bekam plötzlich einen rosigen Farbton. Peyres musterte Adelind auf einmal so anerkennend, dass sie ihr Herz schlagen hörte und sich sicher war, ebenso zu erröten wie der arme Diener Gottes.
Es gab Hammelkeule und Schweinebraten, Bier, Met und Wein. Simon las ein paar Leuten aus
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