Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Stadt für das Reinigen der Latrinen einzustellen, was durchaus wohltätig gewesen wäre und ihr Ermahnungen von Töchtern aus reichem Hause erspart hätte. Esclarmonde würde vermutlich zustimmen, denn sie war in diesen Dingen durchaus pragmatisch, wollte mehr Anhänger gewinnen, anstatt bereits gewonnene durch allzu harte Gebote wieder zu vergraulen. Aber wäre dies nicht der erste Schritt zu jener Trennung zwischen adeligen Nonnen und Konversen aus dem einfachen Volk, die sie bereits aus dem Kloster kannte?
Die Geräusche der vor Leben brodelnden Stadt lenkten sie ab. Musik drang an ihr Ohr und erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie sah eine kleine Frau mit goldfarbenen Locken, deren Körper sich im Rhythmus einer schrill lauten Melodie bewegte. Eine Kette aus bunten Steinen hing um ihren Hals. Adelind verjagte rasch schmerzhafte Erinnerungen und richtete ihren Blick auf die herannahenden Wagen, in denen drei weitere edle Damen des Landes saßen. Aude de Fanjau, Fays de Durfort und Raimonde de Saint-Germain wollten gemeinsam mit Esclarmonde das Consolament empfangen, ein Moment des Triumphes für die Katharer des Languedoc. Sie sah die in frommes Schwarz gekleideten Frauen zu dem großen Gebäude schreiten, wo die Zeremonie stattfinden sollte, und setzte sich mit Hildegard und Rosa ebenfalls in Bewegung. Es war eine große Ehre für sie alle, bei diesem Ereignis dabei sein zu dürfen. Nur Ursanne war ebenfalls geladen worden, doch da sie sich zu schwach für eine Reise fühlte, blieb sie in Carcassona. Das auserwählte Haus gehörte einem reichen Kaufmann, dem angesehensten Katharer von Fanjau, und wies eine farbenfrohe, mit Rundbögen geschmückte Fassade auf, vor der bereits ein Haushofmeister stand, um den vornehmen Damen nach einer tiefen Verbeugung den Weg zu weisen. Adelind sah Esclarmonde und ihre drei Gefährtinnen durch das Eingangstor treten. Rosa folgte ohne Zögern, Hildegard hielt sich etwas verunsichert an Adelinds Seite, die ihre Hand unter den Ellbogen der Schwester schob, um ebenfalls loszugehen. Es gab keinen Grund, sich von all dieser Pracht einschüchtern zu lassen. Sie erblickte einen bepflanzten Innenhof mit einigen Palmen, die sie bereits aus Carcassona kannte. Ein schmaler Pfad führte an Statuen vorbei. Blüten dufteten. Adelind saugte gierig all diese Schönheit in sich auf. Ein Gefühl heiterer Entspannung überkam sie, und sie begann sich auf die bevorstehende Zeremonie zu freuen.
» Adelind! « , rief eine Stimme im Hintergrund. Sie fuhr herum und wandte ihren Blick wieder der Stadt und ihrer bunt gemischten Bevölkerung zu. Ein recht zerlumpter, hagerer Jüngling mit schütterem Blondhaar stand vor ihr. Es dauerte eine Weile, bis ihr Erinnerungsvermögen seiner Gestalt einen Namen zuordnen konnte.
» Antonius! «
Hildegards Gesicht färbte sich rosa, während sie mit gesenktem Kopf weiter Richtung Gebäude eilte. Adelind entfernte ihre Hand vom Ellbogen ihrer Schwester.
» Seid ihr alle in Fanjau? « , fragte sie und staunte, wie laut ihr Herz pochte.
» Ja, das sind wir. Die Edlen des Landes haben sich heute hier versammelt, da sind die Aussichten auf Einnahmen gut. «
Er grinste. Seine Zähne sahen gelblich aus.
» Marcia ist nicht mehr bei uns « , fügte er dann hinzu. » Sie hat einen reichen Herrn aus Bezers kennengelernt, der sich jetzt um sie kümmert. «
Adelind fragte sich, ob dies Antonius’ heruntergekommenes Aussehen erklärte. Vielleicht brauchte fahrendes Volk eine schöne Frau, um Erfolg zu haben, ganz gleich, wie groß die Talente der Männer sein mochten.
» Und… Peyres? « , fragte sie leise. Antonius trat einen Schritt vor.
» Er hatte nichts dagegen, dass sie ging. «
Adelind biss sich auf die Lippen, um weitere Fragen zurückzudrängen.
» Dann wünsche ich euch viel Erfolg bei euren Auftritten « , sagte sie schnell und wandte sich wieder zum Gehen.
» Adelind! « , rief Antonius hartnäckig. Sie drehte sich nochmals um, denn ein anderes Verhalten wäre allzu unhöflich gewesen.
» Ich hoffe, du und deine Schwester seid jetzt glücklich « , murmelte er leise, um dann in der Menschenmenge zu verschwinden, bevor er eine Antwort erhalten hatte. Adelind stand eine Weile still da, als seien ihre Füße plötzlich mit dem Erdboden verwachsen. Der schöne Vorhof tanzte vor ihr im Kreis.
» Adelind! « , wurde sie nochmals gerufen, doch diesmal war es Hildegards drängende Stimme. Ohne weiter zu zögern oder zu denken, betrat sie den Pfad zu dem großen
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