Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Sie war Anfang 20, brünett und über die Maßen schön. Und verströmte
den Duft von Hyazinthe und Jasmin. Bruder Hilpert war sprachlos und darüber
hinaus überrascht, zu solch früher Stunde eine mit derartigem Liebreiz
ausgestattete Frau zu sehen. Eine Frau mit einer Haut so weiß wie Schnee und
einem Blick, der selbst ihm, der er ein Gelübde abgelegt hatte, unter die Haut
zu gehen drohte. Und das trotz oder gerade wegen des dunklen Überwurfs, den sie
über ihrem mit Silberfäden durchwirkten Kleid aus Brokatstoff trug. »Seid Ihr
der Zisterzienser, der mit der Aufklärung dieser Morde beauftragt worden ist?«,
hielt sie sich denn auch nicht lange mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln auf.
»Der bin ich!«, bekräftigte Bruder Hilpert rasch. »Und
was ist Euer Begehr?«
Lag es an der Höflichkeitsform, mit der er die junge
Frau anredete, dass ein amüsiertes Lächeln über ihre rosigen Lippen flog? Oder
an etwas anderem? Bruder Hilpert wusste es nicht. Eines aber war ihm von
Anbeginn klar: Diese Frau war wie geschaffen, die Männer um den Verstand zu
bringen. Das heißt, so sie kein Gelübde einzuhalten hatten. Wie er.
»Ich bringe frohe Kunde, Bruder. Etwas, das Euch mit
Sicherheit interessieren dürfte.«
»Und wie ist Euer Name?«
»Melisande, Bruder«, entgegnete die junge Frau.
»Dann folgt mir!«, forderte Bruder Hilpert sie auf, im
sicheren Gefühl, dass der längste Tag seines Lebens noch lange nicht vorüber
war.
*
Bischöfliche
Gemächer, zwei Stunden nach Sonnenaufgang
»Dem Himmel sei Dank!« Normalerweise wurde Bischof
Johann von Brunn erst gegen Mittag richtig wach. Doch heute, gerade einmal zwei
Tage vor Kiliani, war das anders. Er war außer sich, zur Abwechslung einmal vor
Freude. »Seid Ihr Euch dessen auch absolut sicher, von Weißenfels?«
Der bischöfliche Kammerherr, ein sauertöpfischer
Pessimist, nickte bejahend und strahlte mehr Zuversicht aus als in all den
Jahren zuvor. »So sicher, wie man es angesichts dieser wahrhaft frohen
Botschaft überhaupt sein kann!«, ließ Hieronymus von Weißenfels mit Nachdruck
verlauten. »Der Reliquienfrevel ist aufgeklärt, der Fall, der Euer Gnaden so
viel Verdruss bereitet hat, gelöst!«
Fast automatisch musste Johann von Brunn an die
schlechten Nachrichten der letzten Tage denken. All die Hiobsbotschaften – und
endlich wieder ein Grund zur Freude. Und überhaupt: Was gingen ihn die Sorgen
und Nöte seiner Amtsbrüder zu Köln, Mainz und Bamberg oder sonst wo an? Hauptsache,
er hatte seine Schäflein im Trockenen. Die übrigen Reichsfürsten konnten ihm,
mit Verlaub, wirklich gestohlen bleiben.
»Und wo, sagt Ihr, wurden die Reliquien unserer drei
Heiligen gefunden?«, fragte von Brunn gelöst, während er in seinen pelzverbrämten
Morgenmantel schlüpfte.
»Unweit vom Galgentor, Bischöfliche Gnaden!«, beeilte
sich sein Kammerherr zu sagen, in der Hoffnung, die huldvolle Stimmung seines
Herrn möge eine dauerhafte sein. »Auf dem Fronhof, der letztes Jahr abgebrannt
und nicht wieder aufgebaut worden ist.«
»Ein ungeheuerlicher Frevel, die Reliquien der drei
Heiligen in einer stillgelegten Jauchegrube zu verstecken!«, ließ von Brunn mit
gespielter Entrüstung verlauten.
»Mitnichten, Euer Gnaden!«, stimmte von Weißenfels zu.
»Ein Frevel zwar, aber ein Versteck, auf das man erst einmal kommen muss!«
Im Begriff, die Vorhänge seines
Gemaches beiseite zu schlagen, hielt von Brunn kurze Zeit inne. »Sollte dies
eine Sympathiebekundung gegenüber dem räuberischen Gesindel sein, welches den
schlimmsten Reliquienfrevel seit Menschengedenken zu verantworten hat, dann ist
sie wahrhaftig fehl am Platz!«, stauchte er den verdutzten Kammerherrn ohne
Vorwarnung zusammen.
Von Weißenfels senkte devot den Kopf. »Nichts läge mir
ferner als das!«, beteuerte er und deutete eine Verneigung an. »Wenn jemanden
die glückliche Wendung der Dinge mit Freude erfüllt hat, dann mich,
Fürstbischöfliche Gnaden!«
Johann von Brunn gab einen Laut von sich, aus dem ein
gerüttelt Maß an Skepsis sprach, stützte sich auf das Sims und sah zum Fenster
seines Schlafgemaches hinaus. Die gute Laune war ihm schon fast verdorben,
wobei er selbst nicht genau wusste, warum. Dabei hätte er sich doch eigentlich
freuen müssen. Die Reliquien wieder in seinem Besitz, das Domkapitel in die
Schranken gewiesen, die aufgebrachten Pilger wieder in Festtagsstimmung. Und,
wichtiger noch, die bischöfliche Autorität fürs Erste
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