Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Insassen des Siechenhauses vor dem Sander Tor«, flüsterte er.
»Etwa den Aussätzigen?!«
»Unter anderem!«, warf Berengar trocken ein. »Keine
große Überraschung, aber anscheinend etwas, worüber man nicht gerne spricht.«
Berengar machte ein angewidertes Gesicht. »Traurig, aber wahr. Die Drecksarbeit
wird durch die Aussätzigen erledigt. Respektive die übrigen Leute aus dem
Siechenhaus. Und das selbstverständlich bei Nacht. Mithilfe zweirädriger, von
Hand gezogener Karren und einer Klapper.«
»Kaum zu glauben.«
Ein grimmiges Lächeln huschte über Berengars Gesicht.
»Nur Geduld – das Beste kommt noch!«, flüsterte er mit spürbarer Ironie und zog
Bruder Hilpert mit sich fort.
»Wie? Das war noch nicht alles?«
»Wo denkst du hin, oh Zierde deines Ordens, wo denkst
du hin!«, geriet Berengar jetzt erst richtig in Fahrt. »Um es kurz zu machen:
Als wäre es nicht schon schlimm genug, tagtäglich mit Kot, Abfällen oder
anderem Unrat zu hantieren, schuften diese bemitleidenswerten Kreaturen für
einen Hungerlohn. Will sagen: Kein Tagelöhner würde sich für so was die Finger
schmutzig machen. So weit, so schlecht. Besagten Lohn indes liefern sie beim
Vorsteher des Siechenhauses ab. Eine Art Zunftmeister oder so. Und das, ohne zu
murren. Ohne Ordnung geht es anscheinend selbst im Siechenhaus nicht.«
»Und was hat das deiner Meinung nach mit dem Mord an
Agilulf …?«
Berengar ließ Hilpert nicht ausreden, sondern fügte
eindringlich hinzu: »Was diesen Zunftmeister der Aussätzigen betrifft, Hilpert
– wir sind ihm schon mal über den Weg gelaufen.«
Um Zeit zum Nachdenken zu haben, hob Bruder Hilpert
die Hand. »Lass mich überlegen!«, beschied er ihm knapp und runzelte die Stirn.
Doch genauso plötzlich, wie sich sein Gesichtsausdruck verdüstert hatte, hellte
er sich wieder auf. »Der Poet!«, brach es förmlich aus ihm hervor. »Und die
beiden anderen Strolche, die Bruder Wilfried aufgelauert haben!«
»Kompliment!«, pflichtete der Vogt Bruder Hilpert
augenzwinkernd bei und sah seinen Freund erwartungsvoll an. »Und was hast du
jetzt vor?«
»Gute Frage!« Vor der Basilika angekommen, wischte
sich Bruder Hilpert den Schweiß von der Stirn und machte eine Kopfbewegung in
Richtung Portal. »Nun, ich denke, wenn wir schon mal hier sind, sollten wir uns
da drin ein wenig umsehen. Und dann sehen wir weiter.«
»Leider bleibt uns nicht viel Zeit.«
»Wo du recht hast, hast du recht.« Für den Bruchteil
eines Augenblicks kam Bruder Hilpert ins Grübeln. Dann aber, als sich Berengar
verlegen räusperte, legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte
entschlossen: »Ganz gleich, was geschieht, mein Freund: Wir werden obsiegen.
Und dann möge Gott der Herr diesem Scheusal gnädig sein!«
*
Benediktinerinnenkloster
St. Afra,
zur gleichen
Zeit (11.00 Uhr)
Für ihr riskantes Unterfangen blieb Schwester
Irmingardis nicht viel Zeit. Dies zumindest war klar. Genauso wie die Tatsache,
dass es einen Bruch sämtlicher Ordensregeln darstellte. Doch daran wollte sie
jetzt lieber nicht denken. Es gab Dinge im Leben, die musste man einfach tun.
Selbst auf die Gefahr hin, dass man eine Sünde beging.
Ihr Glück, dass sich die Schreibstube des Klosters in
einem Seitentrakt befand, von dem aus man über einen Korridor in den Kreuzgang
gelangte. Auf diese Weise würde sie die Priorin nach Beendigung ihrer Andacht
schon von Weitem kommen hören.
Dachte sie wenigstens.
Während ihre Hand auf der Türklinke lag, ließ sich
Schwester Irmingardis noch einmal alles durch den Kopf gehen. Doch ihr
Entschluss stand fest. Und so drückte sie die Klinke herunter, vergewisserte sich,
ob die Luft rein war, und betrat den gewölbeartigen Raum.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, beschlich sie
ein mulmiges Gefühl. Durch das Gitterfenster am anderen Ende des Raumes fiel
mattes Sonnenlicht, die einzige Lichtquelle weit und breit. Myriaden von
Staubkörnern wirbelten empor, und während sie die ersten Schritte tat, ächzten
die Dielenbretter leise auf. Schwester Irmingardis achtete nicht darauf. Ihr
Vorhaben duldete keinen Aufschub. Wenn sie es ausführen wollte, dann jetzt und
hier.
Die Frage war nur, wo sie mit ihrer Suche beginnen
sollte.
Seit ihrem Eintritt in den Orden hatte sie das
Skriptorium so gut wie nie betreten. Dementsprechend schlecht kannte sie sich
hier aus. Schwester Irmingardis war nicht wohl in ihrer Haut. Sie mochte diesen
Ort nicht. Mit seinen verstaubten Regalen, den
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