Die Kinder aus Nr. 67
nicht, daß er nach Amerika wollte und sehr lange bleiben würde. Dann rannte er fort. Erwin suchte in dem Augenblick im Keller des Hauses und rief unablässig »Paulchen!«.
Als Paul auf der Straße war, zögerte er. Es war vielleicht besser, sich bis zum Abend zu verstecken und erst in der Dunkelheit zur Bahn zu gehen. Dann fanden sie nicht so leicht seine Spur. Er bog nach links ab und lief, so schnell er laufen konnte, hinter die Markthallen. Dort hatten sie sich in einem alten, verlassenen Lagerschuppen eine Höhle eingerichtet. In dieser Höhle wollte er sich solange verstecken. Hoffentlich waren nicht gerade Willi oder Heini darin.
Es war schon fast dunkel, da besann sich auch Erwin auf die Höhle. Vielleicht fand er Paul dort.
Als er hinkam, sah die Höhle vollkommen verlassen aus. Die Tür war fest zu und verrammelt. Er mußte zwischen den losen Balken durchkriechen, um hineinzugelangen. Drinnen war es so finster, daß er nichts erkennen konnte.
»Paule!« rief er, »Paule, bist du hier?«
Paul hatte sich in der Dunkelheit ganz dicht an die Wand gedrückt. Als er Erwin kommen hörte, verdeckte er sich noch mit losen Brettern. Wenn ihn Erwin jetzt fand, war alles verloren, und er kam nicht nach Amerika, sondern Erwin würde ihn der Polizei übergeben. »Paulchen!« rief Erwin abermals, »wenn du hier bist, so antworte doch! Ich habe eine gute Nachricht für dich!«
Er holte aus seiner Tasche eine Schachtel Streichhölzer und zündete ein Holz an. Jetzt konnte er im Schein des Lichtes Paul erkennen. Wie ein Gespenst saß er da. Er blieb auch hinter Brettern und Geröll verkrochen, ohne zu antworten.
»Mensch, Paule, wat hast du mich erschreckt!« Erwin kletterte näher. »Wat ist denn das überhaupt für eine Art, sich so zu verstecken und fortzulaufen! Du sollst nämlich sofort zum Bäcker Hennig kommen. Aber«, redete er schnell weiter, weil er sah, wie Paul zu zittern begann, »nich wegen der Diebsangelegenheit oder weil du sonst wat ausgefressen hast, sondern er will dich anstellen als Botenjungen zum Semmelaustragen. Gustav hat zuviel zu tun. Aber du ...«
Er war jetzt neben Paul angelangt und schwang sich zu ihm auf den Bretterhaufen. »Aber du«, sagte er, »du darfst niemals eine einzige Semmel wegnehmen, die dir nicht gehört, und auch sonst nichts. Man muß unbedingt ehrlich sein, anders geht das nicht, sonst ist alles verloren. Ich habe außerdem für dich gebürgt, weißt du.«
Ob Paul wußte, was das bedeutete?
Paul saß ganz wortlos und sah Erwin erstaunt an. Dann lächelte er. »Is das auch wahr?« fragte er leise, »wirklich wahr?«
»Natürlich is das wahr. Aber nun komm hier raus aus der Bucht.« Erwin stand auf und ging voraus. Er wollte nicht mehr viel Worte machen.
Wozu denn? Er brauchte Paul auch nicht noch zu erzählen, was er gesehen hatte. Paul hatte bestimmt genug Angst ausgestanden. Erwin war froh, daß er ihn wiedergefunden hatte.
»Außerdem«, sagte er, »wünscht mein Vater, daß du von jetzt an immer bei uns zu Mittag ißt. Fein, was? Vater hat mit deinem Vater geredet, ist schon einverstanden. Komm bloß jetzt nach Hause, sonst fürchten sie, du bist in die Spree gefallen!«
Paul konnte das große Glück noch gar nicht fassen. Er ging wie in einem Traum neben Erwin her. Jetzt wird alles gut werden. Jetzt werde ich bestimmt nie mehr etwas wegnehmen, was mir nicht gehört, und wenn ich verhungern müßte. Er war sehr froh, daß er wieder nach Hause konnte und nicht nach Amerika mußte.
Und er hielt auch sein Wort. Er nahm nie wieder etwas. Der Bäcker Hennig hatte ihn jeden Tag lieber. »Das ist ein patenter Junge!« sagte er, »so einen kann ich brauchen!«
Freilich, ein großer Teil Dank gebührt Erwin. Es war ein großes Glück für Paul, daß er so einen Freund hatte. Und Erwin hat deshalb viel mehr verdient, als hunderttausend Stück Sahnetorte wert sind!
Wir alle aber wollen uns freuen, daß diese gefährliche Geschichte, die leicht ein schlimmes Ende hätte nehmen können, so gut ausgegangen ist.
2 - Der Fußball
Der große Wunsch
Die Straße war grau und dunkel wie die Stuben. Ganz ohne Bäume. Sie lag nicht weit von den großen Markthallen. Die Lastautos der Händler, die Gemüsewagen und Karren mußten alle durch diese Straße fahren. Sie waren vollgepackt mit Kartoffeln, Kohl, Fischen und frischem
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