Die Kinder der Elefantenhüter
Klopfen, es hört sich an, als wäre die Karre zum Verschrotten gebracht worden und man hätte sich schon an die Arbeit gemacht.
Ein Mann steckt seinen Kopf durch das offene Fahrerfenster.
Er sitzt auf einem nagelneuen Raleigh-Rad und trägt Anzug, weißes Hemd und Krawatte, Hosenklammern und gewienerte Schuhe. Auf dem Gepäckträger hat er eine Ledertasche mit dem Laptop und in der Hand einen oberschenkeldicken Strauß roter Rosen in Zellophan. Er brüllt Pallas Athene ins Gesicht:
»Na, was denn nun, Schnepfenschwester, kannste maldeinen Arsch bewegen, hast wohl den Führerschein per Rubbellos gewonnen, schon jemals was von Verkehrsregeln gehört?«
Der Mann ist mir persönlich nicht bekannt. Trotzdem wette ich eins zu zehn, dass er Anwaltsgehilfe ist und frei hat und auf dem Weg in seine Eigentumswohnung in Charlottenlund ist, wo seine Verlobte wartet, sie werden bald zusammenziehen und heiraten und zwei, drei Kinder und einen Hund haben und glücklich leben bis ans Ende ihrer Tage.
Ein Projekt, das ich natürlich von Herzen gutheiße. Auch wenn man selber für immer allein bleiben wird, kann man sich doch über das Glück anderer Menschen freuen.
Deshalb hätte ich so gern die Zeit gehabt, dem Anwaltsgehilfen zu erzählen, wie man seinen Zorn zügelt, alle großen Religionen empfehlen das und liefern das Rezept gleich mit dazu. Aber die Zeit ist mir nicht vergönnt, er hat Pallas Athene schon wüst ins Gesicht geschrien.
Da ist er bei ihr an der falschen Adresse. Ihre Augen werden glasig. In der nächsten Sekunde hat sie den Anwaltsgehilfen am Kragen gepackt und durch die Fensteröffnung gezogen.
Dann zögert sie einen Moment. Was sie aufhält, ist sicher die Wahl zwischen zwei guten Möglichkeiten: Soll sie dem Mann den Hals brechen oder ihm gleich den Kopf abreißen?
Die Pause ist unsere Chance. Hans, Aschanti und ich ergreifen Pallas Athene genau in dem Augenblick, in dem man ihrer zufriedenen Miene entnehmen kann, dass sie ihre Entscheidung getroffen hat.
Erst habe ich Sorge, ob wir sie tatsächlich festhalten können. Doch dann spannt Hans die Muskeln an, und wennHans die Muskeln anspannt, hört jede natürliche Bewegung auf. Langsam weicht das Gläserne aus ihren Augen. Sie betrachtet den Anwaltsgehilfen, schiebt ihn durch das Fenster zurück und setzt ihn wieder auf den Sattel.
»Nichts für ungut, Waldschwein«, sagt sie.
Ein schneller Start, eine zügige Beschleunigung, und er ist weg, ohne sich noch einmal umgedreht zu haben. Er ist ungeschoren davongekommen. Aber wie etliche der großen Erleuchteten erkannt haben, möchte ich auch sagen: Der Anwaltsgehilfe, der dem Tod in die Augen geschaut hat, ist nicht mehr derselbe Anwaltsgehilfe.
Pallas Athene ist wieder in etwa derselben Wirklichkeit angekommen wie wir. Sie dreht sich zu uns um.
»Schiffssirenen«, sagt sie.
Wir lauschen. Deutlich hört man eine weit entfernte Sirene. Aber das ist doch nichts, was man nun unbedingt der Öffentlichkeit mitteilen müsste. Mich streift der Gedanke, dass Pallas Athene eben daran gehindert wurde, den Mann auf dem Fahrrad zu entleiben. Vielleicht war es einfach zu viel für ihr sensibles System, dass sie ihre spontanen Gefühle unterdrücken musste.
»Er hat mich doch angerufen. Henrik. Gestern. Wollte, dass ich zu ihnen komme. Ich habe abgelehnt. Ich mach das fast nie. Zu riskant. Ich möchte Andrik in der Nähe haben. Das heißt, sie haben für den nächsten Tag gebucht. Aber im Hintergrund war das gleiche Geräusch. Ich wohne ja selbst am Hafen. Es waren Schiffssirenen.«
»Hast du eine Adresse?«, frage ich.
Sie nickt langsam.
»Das war ungewöhnlich. Normalerweise wissen wir so wenig wie möglich von den Kunden. Aber diesmal hat er mir eine Anschrift gegeben. Um mich zu überreden. Um zu zeigen, wie nah es war. Es war im Freihafen. Die Adresse lautete Pakhus und dann eine Nummer.«
Wir warten, sie denkt nach.
»Ich hab sie vergessen«, sagt sie unglücklich.
In diesem Augenblick nähert sich dem offenen Autofenster ein weiterer Mann. Ich ergreife Pallas Athenes Arm. Aber dieser Besuch hat einen anderen Grund.
»Entschuldigung«, sagt er. »Ich bin auf dem Weg zu euch. In die Toldbodgade.«
Auf dem Bürgersteig steht, mit Rosenkranz und Kollar und einem Look wie ein Wüstenscheich, das Pin-up aus dem Katalog von Ifigenia Bruhns Tanzinstitut, mein früherer Sturmpartner der ersten Mannschaft, Jakob Aquinas Bordurio Madsen.
Ich ziehe Jakob neben mich auf den Sitz. Zu sagen, der Jaguar
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