Die Kinder der Elefantenhüter
Präzedenzurteile gleich mitkopiert. Über fünfzig Seiten. Ja, dann finde ich irgendwie in die Küche zurück. Und will sie fragen, was sie in Gottes Namen mit diesem Gesetz vorhaben. Aber dann werde ich abgelenkt. Von meiner Meditation. Dem Fisch. Der Beurre blanc . Den kleinen neuen Kartoffeln.Das heißt, ich habe nicht mehr dran gedacht. Aber jetzt, wo sie weg sind, frage ich mich, ob sie vielleicht etwas verloren haben.«
Tilte und ich haben in den letzten vierundzwanzig Stunden etliche unverständliche und schwer verdauliche Informationen über unsere Eltern schlucken müssen. Die eben gehörte zählt mit dazu.
»Falls sie etwas verloren haben«, sagt Tilte, »kann es nichts Kostbares gewesen sein. Das einzig Wertvolle, das unsere Eltern besitzen, sind wir.«
Finøholms Haupttür führt in eine Halle, die so groß ist, dass sich auf ihren Marmorfliesen vier kinderreiche Familien niederlassen und genug Platz finden und viele Jahre lang leben könnten, ohne sich gegenseitig auf den Geist zu gehen, an der Tür steht ein Mann mit blauem Mantel und gepuderter Perücke und empfängt die Gäste, er heißt sie herzlich willkommen und sorgt dafür, dass sich keine Schmarotzer einschleichen.
Tilte fasst Sindbad al-Blablab an der Hand, und ich schiebe meine schmale Hand in Gittes Pranke, so kommen wir an der Kontrolle vorbei in die Halle.
Aus gegebenem Anlass wurde hier eine Garderobe eingerichtet, an der die Mäntel von Dienern entgegengenommen werden, die unter ihren Perücken schwitzen und innerlich über das Kleingedruckte in ihrem Vertrag weinen, der sie eigentlich als Waldarbeiter verpflichtete.
In den ersten Stock gelangt man über eine Treppe, die breit genug für eine Nummer aus einem amerikanischen Musical wäre, und von dort hat man Zugang zum Rittersaal, in dem keine Rüstungen stehen, sondern Marmorstatuen nackter Frauen und Männer, die Leonora Ganefryd mit einem nachsinnenden Blick bedenkt. Vor den Statuen steht ein kaltes Buffet, an dem man erkennt, dass die Zeiten, in denen die Gäste mit drei Broten und fünf Fischen oder umgekehrt bewirtet wurden, vorbei sind, das hier erinnert eher an eine römische Orgie, und zur Krönungteilt ein Schild mit, dass sämtliche Speisen halal sind. Vor dem Buffet steht Kalle Kloak.
Von einem Mann, der sich aus eigenem freien Willen den Namen Charles de Finø gegeben hat, kann man sich viele interessante Vorstellungen machen, aber man würde sich vertun, er sieht nämlich so aus wie der, der er ist, nämlich ein Mann, der ein großes Unternehmen leitet. Das einzig Besondere ist der Hunger, man sieht ihn in seinen Augen, ich habe diesen Hunger schon einmal gesehen, er erinnert mich an irgendetwas, was ich im Moment nicht einordnen kann, aber es muss dieser Hunger gewesen sein, der ihn veranlasste, den Namen zu ändern, ein Gut zu kaufen und sich ein Wappen erfinden zu lassen. Vielleicht schaut er deswegen gleichsam hungernd auf seinen Gesprächspartner, als meinte er, der müsse schon wissen, worum es eigentlich geht. Sein Gesprächspartner ist nämlich kein Geringerer als Rickardt Graf Tre Løver im Smoking aus Silberlamé mit rosenroter Seidenschärpe um den Bauch und spitzen Lackschuhen, die so lang und blank sind, dass sie den Smoking und die Leibbinde klar in den Schatten stellen.
Um die beiden Adelsherren wogt ein Meer von Angehörigen der finøischen Oberschicht, unter anderem die Ärzte und die beiden Postmeister, die Rechtsanwälte und die Leiter der Konsumläden und die Direktoren der Werften, der Ziegelei und der Fischfabrik und der Chefredakteur des Finø Folkeblad und schließlich die Delegationen, die heute Nacht mit dem Schiff zur Großen Synode fahren sollen.
Es ist ein buntes Menschenmeer wegen der Festkleider und der Männer in Smoking und Frack und Kalle Kloaks livriertem Personal und wegen Gitte Grisanthemum undihrer Gemeinde in Hinduweiß und Sindbad al-Blablab mit Turban und Ingeborg Blåballe in Burka, wegen der Buddhisten in Purpur und der drei Mitglieder mosaischen Glaubens mit schwarzen Hüten, und inmitten der Palette nehme ich Dorada Rasmussen wahr, die zur Feier des Tages in Volkstracht erschienen ist.
Eigentlich ein Anblick, in dem man sich hingerissen verlieren könnte, wenn wir nicht vor diesem erdrückenden Problem stünden, wie wir die Fahrkarte und den Zugang zur Weißen Dame erhalten – zu dieser Frage hatten wir aus Zeitgründen noch keine Stellung nehmen können.
In diesem Augenblick spüre ich, dass etwas in Tilte vor
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