Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
darauf wartete.
»Gleich bist du frei«, versuchte Siggi seinem Freund Mut zu machen. Hagen antwortete nicht mehr; der Ohnmacht nahe, hing er in den Ketten.
Siggi sah sich die Fesselung näher an. Natürlich konnte er versuchen, die Ketten, die Hagen an den Felsen banden, nahe der Arme und Beine zu durchtrennen. Allerdings bestand die Gefahr, dass er seinen Freund dabei verletzte. Es gab eine viel bessere Stelle wie Siggi schnell erkannte. In den Felsen waren Ringe getrieben worden, welche die Glieder der Kette hielten. Dort würde der Kriegshammer das schwarze Eisen zerschlagen können.
Siggi erhob den Hammer zum Hieb. Seine innere Ruhe überraschte ihn. Auch der Hammer, nicht nur der Ring, war die Quelle einer Kraft; er spürte das Kribbeln, das von ihm ausging.
»Halt ein, Midgard-Knabe!«, klang eine tiefe Stimme hinter ihm auf. »Führe einen Schlag gegen die Ketten, und du bist des Todes!«
Siggi wirbelte herum, den Hammer erhoben, und sah in die Gesichter mehrerer Schwarzalben, die vor ihm aus einer geheimen Tür getreten waren, welche nun offen stand und einen Blick auf einen dahinter liegenden Stollen freigab. Roter Feuerschein blinkte auf Klingen und Rüstungen; einige der Krieger hielten Geräte in den Händen, die ihn an eine Kombination von Bogen und Gewehr erinnerten – es mussten Armbrüste sein, und sie sahen so aus, als ob ihre Bolzen auf kurze Distanz selbst einen Panzer zerschlagen konnten, von einem Kettenhemd ganz zu schweigen -, und sie waren auf ihn gerichtet.
Einen Schritt vor den anderen stand einer, der ihr König oder zumindest ein sehr mächtiger Anführer sein musste. Er war größer als die anderen. Sein Haar war schwarz wie die Nacht, seine Augen so dunkel wie Kohle. In seiner Rechten hielt er kein Schwert, sondern eine Axt mit schwarzen, breitem Blatt.
Alles in allem waren es fast ein Dutzend Schwarzalben, alle geübte Krieger, wie es schien, aber seltsamerweise hatte Siggi überhaupt keine Angst. Die Kraft des Hammers, die seine Zuversicht geweckt hatte, versagte ihm auch hier den Dienst nicht. Er packte den Hammer fester und sah, wie eine Art Respekt in den Augen der Schwarzalben aufglomm. Er würde sich nicht so einfach gefangen nehmen lassen, schwor sich Siggi. Er würde sich und Hagen bis zum letzten Atemzug verteidigen.
Und dann war da noch der Ring, seine Geheimwaffe, die ihn unsichtbar machte.
Allerdings gedachte Siggi diesen Vorteil nicht leichtfertig zu verspielen. Seine Gedanken schweiften zu Laurion und Gunhild. Vielleicht waren sie entkommen, und dann würden sie ihm sicher zu Hilfe eilen, und in diesem Augenblick wäre der Moment da, unsichtbar zu werden und der finsteren Brut eins auszuwischen.
Einen Augenblick standen sie einander schweigend gegenüber, der Junge mit dem Hammer und seine gewappneten Gegner – Swart-alfar, untersetzt, muskulös, in Kettenhemden und bereit zum Kampf. Siggi war größer als die Krieger, nur der Anführer mit der Axt überragte ihn an Wuchs. Zum ersten Mal, seit sie ihn, Hagen und Gunhild durch den Wald gehetzt hatten, bot sich ihm die Gelegenheit, die Gesichter der Swart-alfar zu sehen. So furchterregend sahen sie eigentlich gar nicht aus; vielleicht hatten sie im Wald nur deshalb so schrecklich gewirkt, weil sie lautlos erschienen und ihre Mienen nicht zu erkennen gewesen waren.
Unbezwingbar waren sie jedenfalls nicht. Auch sie konnten mit einem kräftigen Hieb gefällt werden.
Sie wirkten auch nicht so bösartig, wie Laurion sie geschildert hatte. Entschlossen, ja, und ernst, aber nicht blutrünstig und wild. Auch stürzten sie sich nicht augenblicklich auf ihn, um ihn zu töten. Der ewige Hass der Lichtalben auf die Schwarzalben hatte dazu beigetragen, erkannte Siggi, dass für Laurion die Swart-alfar nichts anderes als Bestien wurden, eben die finstere Brut, die nur aufs Morden aus war.
»Willkommen in Muspelheim«, wurde Siggi begrüßt. »Du willst deinen Gefährten retten?«, fragte ihn der große bärtige Anführer, und Siggi musste sich schwer beherrschen, um den rabenschwarzen Augen standhalten zu können.
»Ja!«, erwiderte Siggi fest, und es klang beinahe wie ein Schwur. Er würde Hagen nicht im Stich lassen. Bei allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, er betrachtete ihn als seinen Freund, und einen Freund würde er nie verraten.
»Gut«, die tiefe Stimme des Swart-alf klang zufrieden. »Dann hast du zwei Möglichkeiten.«
Siggi glaubte nicht richtig zu hören. Man ließ ihm die Wahl. Die Wahl zwischen was?
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