Die Kinder des Dschinn. Das Akhenaten-Abenteuer
auftauchte.
»Kannst du damit gut sehen, John?«, fragte Madame Cœur de Lapin und strich ihm wieder durchs Haar. »Weißt du, wie es funktioniert?«
»Ja«, sagte er und fühlte sich unbehaglich. »Alles bestens, danke.«
Madame Cœur de Lapin war irgendwie merkwürdig, fand John. Und das ließ sich nicht allein damit erklären, dass sie Französin war. Vielleicht lag es an dem schwarz-goldenen Stirnband, das sie immer trug und das sie wie eine Indianerin aussehen ließ. Oder vielleicht waren es ihre trüben, fast leblosen blauen Augen, mit denen sie durch ihn hindurchzusehenschien, selbst wenn sie lächelte. Was immer es auch sein mochte, Madame Cœur de Lapin machte ihn nervös.
»John«, sagte sie gerade. »Möchtest du dir meine Skarabäus-Sammlung ansehen?«
Philippa dachte genau dasselbe wie ihr Zwillingsbruder, nämlich dass Madame Cœur de Lapin irgendwie künstlich wirkte. Deswegen war sie froh, dass John den größten Teil der Unterhaltung bestreiten musste. Während er sich Madame Cœur de Lapins Sammlung von Skarabäus-Käfern – kleine bunte Juwelen aus Jade und Lapislazuli – ansah und von Zeit zu Zeit einen Blick durch das Teleskop warf, nahm sich Philippa ein paar Bücher aus den Regalen. Die meisten waren in englischer Sprache, doch auch die französischen Bücher schienen alle etwas mit Ägyptologie und den Pharaonen zu tun zu haben. Sie setzte sich auf einen unbequem geformten Stuhl und hob ein Buch vom Boden auf. Anscheinend hatte Monsieur oder Madame Cœur de Lapin erst kürzlich darin gelesen, denn auf dem Buch lag eine Lesebrille, und als Lesezeichen diente eine herausgerissene Seite aus einer Zeitschrift oder einem Katalog.
Zu Philippas großem Erstaunen handelte das Buch von Akhenaten, ebenso wie alle anderen Bücher, die neben dem Stuhl auf dem Boden lagen. Ein eisiger Schauder fuhr durch Philippas heißes Dschinn-Blut, und sie spürte, wie ihr Herz aussetzte. War es nur Zufall, dass Madame Cœur de Lapin Bücher über Akhenaten las? Oder gab es etwa einen ernsten Grund für ihr Interesse an Ägyptens ketzerischem Pharao?
Philippa sah die Frau des französischen Botschafters verstohlenan. Madame Cœur de Lapin lachte gerade über Johns dumme, nervöse Scherze. Ihr Lachen klang, als würde es aus einem der kleinen weichen Plüschtiere herausgequetscht, die auf Philippas Bett in New York saßen. Madame Cœur de Lapin wirkte so unnatürlich weiblich, dachte Philippa. Diese albernen Gesten, die dummen langen Fingernägel, der auffällige Lidschatten. Und dann das lächerliche Stirnband. Warum trug sie bloß immer diesen idiotischen Kopfschmuck wie ein Barmädchen aus den zwanziger Jahren? Und warum, überlegte Philippa, kam ihr das Stirnband plötzlich so vertraut vor, als hätte sie es erst vor kurzem irgendwo gesehen?
Bildete sie es sich ein, oder war das Stirnband auf irgendeine Art
lebendig
?
Philippa blinzelte und rieb sich verwirrt die Augen. Dann versuchte sie, einen genaueren Blick auf das Stirnband zu erhaschen, ohne Madame Cœur de Lapins Misstrauen zu wecken. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, wanderte Philippa gelassen zum Tisch neben dem Teleskop, auf dem die Skarabäen ausgestellt waren, und nahm einen in die Hand.
»Warum fanden die Ägypter diese Käfer bloß so interessant, dass sie Figuren davon machten?«, fragte John gerade. Er warf einen hastigen Blick durchs Teleskop, betrachtete dann wieder die Skarabäen und schnitt seiner Schwester gleichzeitig eine Grimasse.
»Warum?« Madame Cœur de Lapin nahm eines der kostbaren Stücke in ihre knochige Hand. »Ich verrate dir, warum: Es gibt viele verschiedene Arten von Skarabäus-Käfern. Einige davon sind Mistkäferarten.«
»Bedeutet es das, was ich denke?«, fragte John. Er drehte sich um, als er merkte, dass jemand den Computer eingeschaltet hatte.
Madame Cœur de Lapin lachte wie eine Quietscheente. »Ja«, antwortete sie. »Sie sammeln den Mist von Schafen und Kamelen, drehen ihn zu Kugeln in der Größe von Tennisbällen und rollen sie in ihre unterirdischen Höhlen. Dort legt das Weibchen seine Eier auf der Kugel ab. Und wenn die Larven schlüpfen, fressen sie den Dung.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, fragte John verblüfft. Als Madame Cœur de Lapin ihn verständnislos ansah, fügte er erklärend hinzu: »Das soll wohl ein Witz sein.«
»Nein«, lachte Madame Cœur de Lapin. »Das ist kein Witz.« Sie ging an den Computer und schaltete ihn aus. »Hast du ihn angeschaltet?«, fragte
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