Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
schüttelte den Kopf. »Und wer es bis zum sechsten Wunsch schafft, will gar nicht mehr wissen, was danach kommt.«
»Das glaube ich auch«, sagte Groanin. »Auf jeden Fall will ich keinen weiteren Wunsch mehr. Und drei schon gar nicht. Für nichts auf der Welt will ich meinen jetzigen Zustand aufs Spiel setzen. Für nichts auf der Welt.«
Holy Rollers
Im Lauf ihrer Führung durch den Aschram in der rosa Festung wurde Groanin und den Kindern klar, dass sie nun zwar am richtigen Ort waren, sie aber immer noch keine rechte Vorstellung hatten, wo sie nach dem Kobrakönig von Kathmandu suchen sollten. Die Festung war riesig. Und sie begriffen bald, dass sie in den Aschram würden eintreten müssen, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollten, das verlorene Amulett zu finden.
»Das ist die einzige Möglichkeit, sie nicht merken zu lassen, was wir eigentlich vorhaben«, sagte Philippa. »Außerdem können wir nicht ständig in diesem Seilaufzug rauf- und runterfahren.«
»Das will ich meinen«, sagte Groanin.
»Wenn wir erst neue Mitglieder des Aschrams sind – oder
Sadhaks
, wie sie hier genannt werden –, können wir uns überall umsehen und niemand wird uns beachten. Gleichzeitig können wir uns einen besseren Eindruck verschaffen, welche Stellen wir genauer unter die Lupe nehmen müssen.«
»Ich glaube, das war eigentlich mein Vorschlag«, sagte Dybbuk.
»Um genau zu sein«, erwiderte Philippa, »war es deine Idee,so zu tun, als würden wir darüber
nachdenken
, in den Aschram einzutreten. Aber so oder so ist es eine gute Idee.«
Groanin teilte Jagannatha mit, dass sie sich entschlossen hätten, im Aschram zu bleiben, und nachdem dieser ihnen zu ihrer Entscheidung, die sie sicher nie bereuen würden, gratuliert hatte, brachte er sie zu Guru Masamjhasara.
Sie fanden den Guru in einem Zahnarztstuhl, der auf einen Schrein montiert war, umgeben von mehreren Dutzend Anhängern und Hunderten brennender Kerzen. Er war ein pummeliger Mann mit langem, buschigem Nikolausbart und weißen Gewändern. Er trug eine goldene Rolexuhr am Handgelenk, eine getönte Brille und einen lose um den Kopf geschlungenen orangefarbenen Turban. Vor ihm hing eine goldene Glocke, die er von Zeit zu Zeit läutete, ehe er ein paar gewählte Worte an seine Anhänger richtete, und gleich neben seinem Stuhl befand sich eine Staffelei mit dem Bild eines Mannes, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet auf einem hohen Pfahl saß und dem nicht weniger als acht Dolche aus Brust und Rücken ragten.
»Autsch«, sagte John und betrachtete das Bild mit fasziniertem Grauen. »Sieht ziemlich unbequem aus.«
»Das ist der Fakir Murugan«, erklärte Jagannatha. »Er war der Vater des Gurus. Und ein großer heiliger Mann. So etwas war bei heiligen Männern früher üblich. Sie haben sich mit Messern gespickt und auf hohe Pfähle gesetzt, um zu beweisen, wie heilig sie sind.«
»Aber heute macht das doch bestimmt keiner mehr«, sagte Philippa, der die Vorstellung, sich mit irgendwelchen scharfen Gegenständen zu bespicken, ein Graus war. »Sich Messer inden eigenen Körper stechen, mit Schlangen herumhantieren oder sich auf ein Nagelbrett legen. Oder?«
Jagannatha grinste. »Na, ich bestimmt nicht. Ich hasse Messer. Und hier oben auf dem Felsen habe ich noch nie eine Schlange zu Gesicht bekommen. So nennen wir das hier oben. Den Felsen.« Dann legte Jagannatha ehrerbietig die Hände aneinander, näherte sich dem Guru unter diversen Verbeugungen und stellte die vier neuen Schüler vor, die er bei ihren indischen Namen nannte – Mr Gupta, Janesh, Panchali und Deepak.
Der Guru betrachtete sie mit einer Art heiteren Gleichgültigkeit, als sei er im Geiste woanders. Dann läutete er die Glocke und alle verstummten für einen Moment. »Willkommen, Mr Gupta«, sagte er. »Und willkommen sind auch Ihre Kinder. Ich werde euch den Prozess des bewussten Nichtstuns lehren.« Sein Akzent verriet eine teure englische Internatsausbildung. »Und die Kunst, ein müheloses Dasein zu führen.«
»Das lässt sich hören«, murmelte Dybbuk.
»Finde ich auch«, gab Groanin zu.
Der Guru beugte sich in seinem Zahnarztstuhl vor und musterte die vier Neuankömmlinge. Dann läutete er wieder seine Glocke. »Ich kenne euch«, sagte er, und einen Moment lang stockte allen der Atem, weil sie sich fragten, ob in dem Guru vielleicht wirklich genug Heiliges steckte, um die Kinder als das zu erkennen, was sie wirklich waren. Doch dann lehnte er sich mit einem albernen
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