Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
wenn diese Welt keine Ahnung hat, was sie eigentlich will, und alles tut, um sich auf der Suche danach selbst zu zerstören. Werden Sie uns helfen?«
Silvio überlegte einen Augenblick. »Es stimmt, um Italien ist es in letzter Zeit nicht gut bestellt«, sagte er. »Die Banken, Arbeitslosigkeit und die Wirtschaft natürlich. Ganz zu schweigen von der Korruption. Es gibt so viel Korruption.«
»Werden Sie uns begleiten? Jetzt sofort?«
»Ja, natürlich«, sagte Silvio. »Wenn Sie wirklich glauben, dass ich Ihnen helfen kann.«
»Das tue ich. Das tue ich.«
»Mein ganzes Leben lang habe ich mir gewünscht, etwas zu tun, was wichtig ist«, sagte Silvio. »Damit mein Leben eine Bedeutung erhält.« Er lächelte Philippa freundlich an. »Das ist viel besser als drei Wünsche, Signorina.«
»Wohl gesprochen«, sagte Nimrod. »Sie sind ein wackerer Bursche.«
»Wohin fahren wir?«, fragte Silvio und begann den Laden zu schließen, den er gerade erst geöffnet hatte.
»Nach Tibet.«
»Tibet?«
»Dem Dach der Welt«, sagte Nimrod. »Das gut in Schuss war, bis die Chinesen ein Loch hineingebohrt haben.«
Auf dem Dach
Bis John gelernt hatte, sämtliche Bell- und Winsellaute zu verstehen – er musste sich sogar einige Male spielerisch in die Hand und ins Bein schnappen lassen, wenn Rakshasas fand, dass er sich besonders begriffsstutzig anstellte –, war die Verständigung zwischen den beiden schwierig. Natürlich war es kein Problem zu verstehen, was Rakshasas sagte, wenn John als Geist in den Körper des Wolfs einfahren konnte; doch das war schlecht möglich, solange der Dschinnjunge den Teppich flog. Was wiederum das Navigieren erschwerte, da nur Rakshasas wusste, wie sie nach Shamba-La in Tibet gelangen konnten.
Daher zeichnete John einen Kompass auf den Teppich und zeigte Rakshasas von Zeit zu Zeit seinen eigenen Armeekompass oder nannte ihm ihre Position, woraufhin der Wolf zustimmend bellte, verneinend winselte oder John mit der Pfote auf dem Kreidekreis wies, in welche Richtung ihm seine Nase zu fliegen gebot. Auf diese Weise flogen sie von Colorado nach Lhasa in Tibet, von Westen nach Osten, über den Pazifischen Ozean und das chinesische Festland – eine Entfernung von zwölftausend Kilometern.
John war noch nie in Tibet gewesen, und wenn Rakshasas des Sprechens mächtig gewesen wäre, hätte er seinem jungen Freund sicher einiges über das wunderbare Land erzählt, in dem sie baldeintreffen würden. Er hätte ihm erklärt, dass das tibetische Hochland die höchstgelegene Region der Erde ist und sich auf einer durchschnittlichen Höhe von viertausendfünfhundert Metern erstreckt und dass Tibet bis zur Invasion durch die Volksrepublik China im Jahr 1950 ein unabhängiges Land war. Er hätte John auch erzählt, dass die kommunistischen Chinesen das tibetische Volk seitdem grausam tyrannisierten und das wahre Oberhaupt Tibets, ein heiliger Mann von großer Weisheit und Ausstrahlung, der vierzehnte Dalai Lama Tenzin Gyatsho, gezwungen war, im Exil zu leben.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte Rakshasas John auch erzählt, dass Tibet eine große Population schwarzer Wölfe besaß, die für sechzig Prozent aller Verluste von Vieh durch Raubtiere verantwortlich war; und dass die schwarzen Tibetischen Wölfe, die dort auch
Chanko nagpo
genannt werden, als dreister und aggressiver gelten als ihre helleren europäischen Vettern. Wahrscheinlich haben sie deshalb mehr Menschen getötet als sämtliche tibetischen Tiger, Leoparden und Bären zusammen.
John hätte also eine ganze Menge über Wölfe erfahren. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass Mr Rakshasas nun ein Wolf war und dass es für einen Wolf nun mal kein interessanteres Thema gibt als seine Artgenossen, abgesehen von seiner nächsten Mahlzeit vielleicht – selbst für einen Wolf wie Rakshasas, der früher ein Dschinn gewesen war.
John hatte also keine Ahnung von all diesen interessanten Fakten über Tibet und Wölfe, doch er vermutete, dass sie so gut wie am Ziel waren, als vor ihnen eine schneebedeckte Bergkette auftauchte, umhüllt von Wolken und so hoch, so entrückt und so unzugänglich, dass sie wie ein Urlaubsort der Götter aussah. Die Luft schmeckte ungewöhnlich sauber, und John fand, dassder unwirklich blaue Himmel aussah, als hätte ihn ein himmlischer Hausmeister sauber geschrubbt. Er hatte noch nie etwas Schöneres gesehen. Allerdings war es kalt, eiskalt, und er war froh über seinen dicken Pelzmantel und drückte Rakshasas
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