Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
dich keiner allzu großen Versuchung auszusetzen. Deshalb werden wir zu Fuß absteigen.«
John zuckte die Schultern. »Sie haben hier das Sagen«, sagte er. »Aber es sah mir nach einem ziemlich schwierigen Abstieg aus, als ich heraufgeflogen kam. Ich hätte nicht gedacht, dass es zu Fuß überhaupt zu schaffen ist. Unterhalb des Spalts befindet sich eine glatte Felswand. Sie müssen wirklich ausgezeichnete Bergsteiger sein. Das hoffe ich jedenfalls, schließlich vertraue ich Ihnen mein Leben an.«
»Wir sind die Besten in Deutschland«, sagte Hynkell. »Und das bedeutet die Besten der Welt. Deshalb wurden wir ja hierhergeschickt.«
»Ich für meinen Teil kann Ihnen sagen, dass ich kein großer Kletterer bin«, gestand John. »Und Rakshasas auch nicht.«
Hynkell lächelte dünn. »Dann werden wir es dir beibringen.« Der Nazi stellte sich vor John und band ihm ein Seil um.
»Ist das für den Fall, dass ich abhaue?«
»Nein, das ist für den Fall, dass du abstürzt.«
Als alle Nazis versammelt und bereit waren, den Krater zu verlassen, hielt Hynkell eine Rede über die vor ihnen liegende Reise und ließ eine Flasche Schnaps herumgehen. Danach sangen sie die deutsche Nationalhymne. Kurz bevor die Dämmerung anbrach, machten sie sich auf den Weg.
Etwa eine Stunde lang folgten sie einem gratartigen Quergang, bis sie zum Eingang des Spalts kamen. Hynkell führte sie hinein, doch es gab niemanden, der ihm folgte, ohne noch einmal atemlos innezuhalten und zum Krater zurückzuschauen, in dem sie so unfassbar lange gelebt hatten. In den Gesichtern der Männer war kein Zeichen des Bedauerns darüber, ihre geheime Zuflucht im Himalaya zurückzulassen. Für die Deutschen war es keine Abreise, sondern eine Flucht, und obwohl John ihren Anführer Hynkell nicht ausstehen konnte, dachte er voller Sorge und dunkler Ahnungen an das, was vor ihnen lag. Wie bald würden sie die Wahrheit über das herausfinden, was mit ihnen geschehen war? Wenn sie in Lhasa ankamen und den ersten Fernseher sahen? Wie würden sie auf die Entdeckung reagieren, dass selbst der Jüngste unter ihnen mindestens neunzig Jahre alt war? Würden sie es an John und Rakshasas auslassen?
Der Weg durch den Spalt war alles andere als einfach. Er hatte praktisch keinen Boden und die meiste Zeit mussten sie sich auf beiden Seiten an den Wänden abstemmen. Manchmal war der Abstand zwischen den Wänden so eng, dass sie die größeren Kletterrucksäcke abnehmen und teilweise sogar zurücklassenmussten, weil sie zu sperrig waren, um sie hindurchzuzwängen. Nur Rakshasas, der kleinste Reisende von allen, kam ohne größere Schwierigkeiten durch den Spalt.
Nachdem sie sich mehrere Stunden durch den Spalt gekämpft hatten, legten sie eine Rast ein, und einige der freundlicheren Deutschen besorgten auch für Rakshasas ein wenig Futter, was John zeigte, dass nicht alle von ihnen solche Fanatiker waren wie Hynkell. Bei einigen handelte es sich um ganz gewöhnliche Männer, die man zum Militärdienst einberufen hatte, und weil sie erfahrene Bergsteiger waren, wurden sie der SS beziehungsweise Hynkells Tibetexpedition zugewiesen.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte einer von ihnen zu John. »Wir passen schon auf dich auf und auf deinen vierbeinigen Freund. Ich habe in Deutschland einen Hund, der fast genauso aussieht wie er. Mein Bruder kümmert sich um ihn, solange ich weg bin.« Der Deutsche lächelte. »Er wird außer sich sein vor Freude, wenn er mich wiedersieht.«
»Glauben Sie denn, dass er Sie nach so langer Zeit wiedererkennt?«, fragte John vorsichtig.
»Aber natürlich«, sagte der Deutsche. »Er ist mein Hund, nicht der meines Bruders. Deutsche Schäferhunde sind ihrem Herrn ein Leben lang treu. Wenn sie dir einmal gehorchen, tun sie es für immer.«
»Sie haben sicher recht«, sagte John.
»Ich heiße Fritz«, sagte der Mann und streckte ihm die Hand entgegen.
John ergriff sie mit einem Nicken. »John«, sagte er. »Nett, Sie kennenzulernen. Glaube ich.«
»Warst du schon mal in Berlin?«, erkundigte sich Fritz.
»Ja, einmal«, sagte John. »Ich habe das Pergamon-Museumbesucht. Das war sehr interessant. Vor allem das Blaue Tor von Babylon.«
»Dein Deutsch ist wirklich sehr gut«, sagte Fritz.
»Danke.« John hielt es für besser, nicht zu erwähnen, dass er nur deshalb fließend Deutsch sprach, weil er es sich mit Dschinnkraft gewünscht hatte. Es war der einzige Grund für viele Dinge, die er getan hatte. Und er fragte sich, wie viel Fritz wohl
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