Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
unter ähnlichen Umständen – falls das überhaupt möglich ist – das Gleiche für ihn tun würde.«
»Danke«, sagte John. »Aber mir passiert bestimmt nichts.«
»Natürlich nicht«, sagte Fritz und grinste. »Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, sonst nichts.«
John ignorierte den scharfen Wind, der ihm voller Verachtung ins Gesicht peitschte, weil er es gewagt hatte, den heiligen Berg zu betreten. Da er keineswegs vergessen hatte, was Rakshasas ihm über die Blasphemie einer Besteigung des Kailash erzählt hatte, tastete er sich auf den Quergang hinaus und schob sich vorsichtig an der Wand entlang. Fritz und die anderen folgten ihm einer nach dem anderen, bis sie wie eine Kette aus Gänseblümchen an der Wand standen.
Etwa eine halbe Stunde lang ging es gleichmäßig den Quergang entlang, doch mit der Zeit wurde der Tross immer langsamer und blieb schließlich ganz stehen. John glaubte zunächst, es habe etwas mit dem Wind zu tun, der sich rasch zu einem Sturm auswuchs, und er stellte sich darauf ein, dass von vorn der Befehl kommen würde, zum Spalt zurückzukehren. Das wäre nur vernünftig, fand er. Vielleicht konnten sie den Abstieg später wagen, wenn der Wind sich gelegt hatte. Als kein Befehl kam, wurde John ungeduldig.
»Was ist los?«, fragte er seinen Vordermann, der Kurt hieß und in dessen Seil er eingebunden war.
Kurt wandte ihm das Gesicht zu, um ihm zu sagen, dass er es auch nicht wisse, doch John erkannte ihn kaum wieder. Der Dschinnjunge glaubte zunächst, die Kälte habe das Haar des Mannes weiß gefärbt, aber dann wurde ihm klar, dass sie wohl kaum auch seine Stimme verändert haben konnte, die schwach und stockend klang, noch seinen Rücken, der jetzt gebeugt war. John hatte keinen Zweifel mehr, dass der Mann vor seinen Augen alterte.
»Mit Kurt stimmt irgendetwas nicht«, sagte er, während ersich zu Fritz umdrehte, und erschrak noch mehr, als er sah, dass auch Fritz in Windeseile alterte. Aus dem blonden, gut aussehenden Hünen, den John aus dem Kailash-Krater hatte kommen sehen, war ein uralter, gebrechlicher Mann geworden.
Weiter vorn auf dem Band ertönten ein Ruf und dann ein Schrei, und als John sich umwandte, sah er gerade noch, wie drei der Männer, die sie über den Quergang führten, abrutschten und in den Tod stürzten. Nur dass sie bereits wie Tote aussahen. Außerhalb eines Grabes in einem Horrorfilm hatte John noch nie jemanden gesehen, der so alt aussah.
Rakshasas winselte vor Angst, und John konnte durch das dicke Fell des Wolfes spüren, wie er zitterte.
»Jetzt, wo sie den Krater verlassen haben«, rief John, »holt sie ihr wahres Alter ein.«
Rakshasas bellte zustimmend.
Einer nach dem anderen stürzten die Männer vor John aus der Wand. Und er begriff, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis auch Kurt und Fritz, die beiden hinfälligen alten Männer, mit denen er eine Seilschaft bildete, in die Tiefe stürzen würden.
Zitternd bedeutete Fritz ihm, einen Haken in die Wand zu schlagen und sich an ihm zu sichern. Das ließ John sich nicht zweimal sagen. Er trieb den Haken in die Wand, stellte jedoch mit Entsetzen fest, dass dieser völlig verrostet und mürbe aussah, als sei auch er zu alt – genauso alt wie die S S-Truppe , die Himmler nach Shamba-La geschickt hatte. Die Feststellung, dass es nicht nur die Nazis waren, die in Windeseile verfielen, sondern auch ihre Ausrüstung, schockierte John fast ebenso sehr wie die Gesichter seiner beiden direkten Klettergefährten. Er hatte keine Ahnung, ob der Haken oder das Seil, in das er eingebunden war, sein Gewicht im Falle eines Sturzes halten würde.
Er sah zu Fritz hinüber und nickte ihm zu. Dieser lehnte erschöpft den Kopf an den Fels, als sei er zu müde, um weiterzugehen. Sein Haar war inzwischen schlohweiß und seine Hände zitterten merklich. Er sah aus, als wäre er mindestens einhundert Jahre alt.
»Jetzt schneide das Seil durch!«, rief Fritz. »Schneide es durch und rette dich. Bevor Kurt und ich dich in die Tiefe ziehen.«
John holte das Taschenmesser heraus und hielt es über das Seil, das ihn immer noch mit Kurt und Fritz verband. Er scheute sich, es durchzuschneiden, weil er wusste, dass die zerbrechlichen alten Männer ohne das Seil mit Sicherheit sterben würden.
»Ich kann nicht!«, rief er.
Weiter vorn auf dem Band stürzten drei weitere greise Nazis lautlos in den längst überfälligen Tod.
»Du musst«, erwiderte Fritz. Er wies mit seiner tattrigen Hand auf einen Punkt hinter
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