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Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya

Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya

Titel: Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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dauern.« Mit einem Seufzen sah er nach oben. »Oder wir versuchen, das kleine Wandstück über uns hinaufzuklettern. Ich glaube, das könnte ich schaffen, denn da sind einige Griffe und Tritte. Dafür würden wir weniger als die Hälfte der Zeit brauchen, die es dauert, über das Band zurückzugehen.«
    John machte die Augen zu und wünschte sich, schlafen zu können und seine Familie wiederzusehen. Er hatte so viele Wünsche, dass es ihm ironisch vorkam, ein Dschinn zu sein, der die Macht hatte, Wünsche zu erfüllen, sich selbst aber nicht den selbstverständlichsten von allen erfüllen konnte – nämlich den, am Leben zu bleiben.
    »Wir klettern. Ich habe nicht die Kraft, noch mal diesen Quergang entlangzubalancieren.«
    Rakshasas winselte leise und sah über seine Schulter. Es war keine Aussicht, die ihn mit Zuversicht erfüllte.
    »Vielen Dank auch«, sagte John. »Es tut gut zu wissen, dass Sie an mich glauben.«
    Rakshasas bellte protestierend.
    John nickte. »Also«, sagte er und hob die Hand zum erstenGriff, den er über seinem Kopf entdeckt hatte. »Bringen wir es hinter uns.«
    Er stellte den Fuß auf einen kleinen Tritt, zog sich hinauf und sah, dass er schon auf halber Höhe war. Auf der rechten Seite fand er einen weiteren Griff, und als er den Fuß ausstreckte, entdeckte er einen Riss, der gerade breit genug war, um die Schuhspitze hineinzuschieben, sodass er sich wieder ein Stück hinaufarbeiten konnte. Diesmal ertasteten seine Hände das verbreiterte Band unmittelbar vor dem sicheren Spalt.
    Rakshasas bellte aufmunternd, als John sich so weit hinaufzog, dass er über die Kante sehen konnte.
    »Wir haben es geschafft«, stöhnte er und stemmte sich die Wand hinauf. »Wir haben es geschafft.«
    Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit war ihm wieder zum Lächeln zumute. Er tastete im Innern des Spalts nach einem weiteren Griff, zuckte jedoch zusammen, als etwas seine Hand packte und fest drückte.
    Es war eine andere Hand.
    Nur dass man es kaum noch eine Hand nennen konnte. Es waren eher die dünnen, bleichen Knochen darunter – zweihundertundsechs insgesamt. Und diese waren immer noch mit etwas verbunden, das mehr Ähnlichkeit mit einer Leiche als mit einem Körper hatte. Unsäglich alt, widerwärtig und verfallen und doch noch gerade eben als S S-Obersturmbannführer Dr.   Heinrich Hynkell zu erkennen. Ein mit gelber, pergamentartiger Haut überzogener Schädel grinste John entgegen und sah ihm höhnisch ins Gesicht. Der Junge wich instinktiv zurück und entwand seine Hand dem Griff des abscheulichen Wesens. Dann hörte er sich selbst aufschreien. Nicht aus Furcht vor Dr.   Hynkell, denn der verabscheuungswürdige Nazi hatte mit Sicherheit seineletzte Tat vollbracht, sondern weil er im Begriff war, von der Kante zu stürzen.
    Mit lautem Kläffen verlagerte Rakshasas sein Gewicht, um den Jungen ein paar lebenswichtige Zentimeter nach vorn und damit in Sicherheit zu befördern. Doch es nützte nichts.
    John griff mit der anderen Hand nach dem einzigen festen Gegenstand, der sich noch in seiner Reichweite befand, und hielt mit einem Mal Hynkells Schädel in der Hand, der sofort vom knöchernen Hals des Nazis abriss. Wie Hamlet, der in einem leeren Theater Yoricks Schädel in der Hand hält, fiel John vom Berg.
    Während seine Beine auf einem unsichtbaren Fahrrad strampelten und seine Arme verzweifelt durch ein trockenes Meer ruderten, stürzte er wie ein verlorener Bungee-Springer mit Rückwärtssaltos durch die Luft und begann den unerbittlich langen Sturz zur Erde und in den Tod, den er so verzweifelt abzuwehren versucht hatte.
    Es war unvermeidlich, dass er dabei an die Frage dachte, die er bislang zu vermeiden versucht hatte: Bleibt jemand, der fast tausend Meter tief in den Tod stürzt, bis zu dem Moment bei Bewusstsein, in dem er unten auftrifft?
    Es sah ganz danach aus, als sollte John das gleich herausfinden.

Die Weltformel

    Nimrod betrachtete Mr   Swaraswati mit einiger Sorge.
    Der Fakir hatte die Augen geschlossen und schien schon geraume Zeit nicht mehr geatmet zu haben. Im Schneidersitz saß er genauso da, wie er sich Stunden zuvor, bei ihrer Abreise aus Kasachstan, hingesetzt hatte. Nichts an ihm schien sich zu bewegen, nicht einmal seine Haare oder sein Bart im Wind, und soweit Nimrod das beurteilen konnte, war auch in ihm nichts in Bewegung: weder sein Herz noch seine Lunge oder das Blut in seinen Adern. Der Dschinn konnte nicht anders, als sich besorgt zu fragen, ob der alte Fakir

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