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Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya

Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya

Titel: Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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sonderlichüberraschend, wo doch meine irdische Hülle unter einer dicken Schnee- und Eisschicht begraben liegt.«
    Irgendwo in der Dunkelheit schrie eine Eule, und ein Kojote jaulte; dann gab eine Wolke den Mond frei, der die ganze Szenerie in ein geisterhaftes, silbrig weißes Licht tauchte. Der Wind flüsterte in den Baumkronen, die sich bewegten wie ein großes Tier, und Groanin merkte, dass er nur deshalb Selbstgespräche führte, weil er gegen seine Furcht vor der Dunkelheit ankämpfte.
    »Nicht, dass es allzu viel gäbe, wovor man Angst haben muss, wenn man selbst im Begriff ist, sich in einen Geist zu verwandeln«, sagte er zu sich. »Der verdammte Grizzly kann jedenfalls nicht noch mal über mich herfallen.« Vorwurfsvoll sah er auf das Buch, das im Zelteingang lag, wo er es hingeworfen hatte.
    »Aber wenn ich wirklich das Zeitliche segne, und es stellt sich raus, dass es einen Himmel gibt, wo man mich reinlässt, dann mache ich mich auf die Suche nach diesem Mr   Charles Dickens«, fuhr Groanin fort. »Und wenn ich ihn finde, reibe ich ihm unter die Nase, was ich von seiner albernen, langweiligen Schwarte halte.«
    »Das können Sie auch gleich tun, wenn Sie wollen«, sagte da eine Stimme.
    Groanin schrie auf und wäre fast aus seinem Schlafsack gesprungen.
    Er schaute sich um und sah einen kleinen Mann von etwa sechzig Jahren neben dem Feuer sitzen. Der Mann trug einen Gehrock mit Samtkragen und einen Bart, der aussah wie Putzwolle.
    »Was zum Dickens fällt Ihnen ein, sich anzuschleichen und einen so zu erschrecken?«, beschwerte sich Groanin verärgert.
    »Ich bin nur hier, weil Sie gesagt haben, Sie wollten mir erklären, was Sie von meinem Buch halten«, erwiderte der Mann. »Und da Sie sind, was Sie sind, und ich bin, was ich bin, hielt ich es für einfacher, herzukommen und Ihnen die Mühe zu ersparen, mich zu suchen.«
    Groanin schluckte laut. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie Charles Dickens sind?«, fragte er.
    »So ist es«, sagte der Mann. »Also, was haben Sie gegen
David Copperfield
? Manche Leute halten es für mein bestes Buch.«
    »Aber Sie sind tot!«, sagte Groanin und wand sich aus seinem Schlafsack für den Fall, dass Dickens etwas im Schilde führte.
    »Das stimmt«, bestätigte Dickens. »Ich bin am 9.   Juni 1870 gestorben. Na und? Jetzt hören Sie endlich auf, den Mund auf und zu zu klappen wie ein Fisch.«
    »Ich bin einfach noch nie vorher einem Geist begegnet«, sagte Groanin. »Keinem echten.«
    »Wissen Sie, Sie erinnern mich an Ebenezer Scrooge, eine Figur aus einem anderen Buch von mir, das
Eine Weihnachtsgeschichte
heißt«, sagte Dickens. »Aber ich nehme nicht an, dass Ihnen das gefallen hat.«
    »Äh, nein, hat es nicht«, gab Groanin zu. »Es war mir zu sentimental.«
    »Sie sind der strengste Kritiker meines Werkes, der mir seit Langem begegnet ist, müssen Sie wissen«, sagte Dickens. »Und da Sie gerade nichts Besseres zu tun haben, kam mir der Gedanke, Ihnen aus meinem neuesten Werk vorzulesen, an dem ich die letzten hundert Jahre gearbeitet habe. Es heißt
Philip Ironfilings
. Und ich wäre Ihnen für ein paar Anmerkungen sehr verbunden.« Aber Groanin lief bereits davon; er lief und lief, ohne sich noch einmal umzusehen.
    »Mir gefällt es hier nicht«, klagte er, während er über den Schnee rannte. Er rannte und redete, ohne außer Atem zu geraten, was nicht besonders schwer war, weil man atmen muss, um außer Atem zu geraten. »Und es gefällt mir überhaupt nicht, ausgerechnet vom Geist des Schriftstellers aufgesucht zu werden, den ich am wenigsten mag. Ich wünschte, John und Rakshasas würden zurückkommen und mich hier rausholen. Ich wünschte, ich wäre wieder im Haus in London. Hören Sie das, Nimrod, Sie dämlicher Lackel?«
    Er blieb kurz stehen, um wie ein Irrer den Mond anzubrüllen.
    »Hören Sie das? Ich wünschte, ich wäre wieder im Hotel Carlyle in New York und würde mir ein gewaltiges Mittagessen einverleiben wie das von neulich. Das wünsche ich mir mehr als alles andere auf der Welt. Aber es sieht ja wohl nicht danach aus, als würde mir das erfüllt werden. Warum bin ich eigentlich Butler bei einem mächtigen Dschinn, wenn mir nicht mal dieser eine Wunsch erfüllt wird?«
    Groanin sah zu seinem Lagerfeuer zurück und rannte so lange weiter, bis er kurz nach Einsetzen der Dämmerung in Sichtweite der Stelle kam, an der Zagreus zurückgeblieben war, um seinen Körper zu bewachen.
    Zwei Dinge stachen ihm sofort ins Auge.
    Zum einen wurde

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