Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
woraus sie bestanden. Diese Tür war aus Holz, was es relativ einfach machte, sie zu überwinden. Jedenfalls als Geist. Der transsubstantierte Zustand war etwas anderes. Philippa fand es immer wieder paradox, dass ein Dschinn in transsubstantierter, rauchartiger Gestalt in einer Lampe oder Flasche gefangen gesetzt werden konnte, nicht aber in körperlosem, geisterhaftem Zustand. Die beiden Zustände unterschieden sich voneinander ebenso sehr wie von der körperlichen Gestalt eines Dschinn.
Philippa wappnete sich innerlich und trat durch die Tür.
Das Zimmer war kalt und abweisend und schien, zumindest in dieser Hinsicht, Mrs Lightbottoms unangenehme Art widerzuspiegeln. Der Boden war mit braunem Linoleum ausgelegt. An der Wand hing das Bild eines chinesischen Mädchens in einem braunen Kleid mit einem goldenen Kragen, das auch in Philippas eigenem Zimmer und draußen im Korridor hing. Die Chinesin hatte ein trauriges, grünlich wirkendes Gesicht, als hätte sie etwas gegessen, das ihr überhaupt nicht bekommen war, und man fragte sich, warum ein solches Bild an der Wand eines Hotels hing, in dem das Essen ziemlich schrecklich schmeckenmusste, wenn man den Küchengerüchen trauen durfte. Anscheinend fand Mr Swaraswati das auch, denn auf seinem Nachttisch standen ein großer Teller mit Crackern und ein Glas Wasser.
Auf dem Bett lag, so kam es Philippa jedenfalls vor, der tote Leib eines uralten Mannes. Er wirkte wie eine dünnere, schmutzigere und wesentlich ältere Ausgabe von Mr Burton, auch wenn das kaum vorstellbar erschien. Der Mann verströmte einen starken Erdgeruch, was darauf zurückzuführen war, dass er jahrhundertelang im Grab gelegen hatte, wie Philippa folgerte. Seine Augen starrten zur konturlosen Decke hinauf, und weder Brust noch Bauch verrieten durch irgendeine Bewegung, dass der Mann am Leben war. Anscheinend kam sie zu spät.
»Oh nein«, stöhnte Philippa. »Sag bitte nicht, dass er tot ist.«
Der Mann auf dem Bett blinzelte langsam.
»Ich bin nicht tot«, sagte er. »Ich ruhe mich nur aus.«
»Tut mir leid, Sie zu stören«, sagte Philippa. »Ich wollte nur vorbeischauen, um zu sehen, ob es Ihnen gut geht.«
»Das tut es, wie du siehst«, sagte Mr Swaraswati. »Aber die interessantere Frage ist vielleicht, warum ich
dich
nicht sehen kann.«
»Bitte beunruhigen Sie sich nicht, Mr Swaraswati«, sagte Philippa. »Ich will Ihnen nichts tun.«
»Das kann ich an deiner Stimme hören«, sagte Mr Swaraswati.
»Sie suchen nach Ihrem Dasa, nicht wahr?«
»Ja. Und er sollte nach mir suchen. Ist etwas passiert? Bist du mein Dasa?«
»Nein, ich bin ein Dschinn und heiße Philippa«, sagte Philippa.»Aber ich bin hier, um Ihnen zu helfen, wenn das möglich ist.«
Mr Swaraswati lächelte schwach. »Das nenne ich einen Zufall«, sagte er. »Aus dem gleichen Grund bin auch ich hier. Um zu helfen. Das dachte ich jedenfalls.«
»Sie wurden hereingelegt«, sagte Philippa. »Von ein paar hinterhältigen Bettelfakiren. Sie haben es irgendwie geschafft, Ihren Dasa ausfindig zu machen, der hier lebt. Sie haben ihn beobachtet, in der Hoffnung, dass er sie zu Ihnen und Ihrem Geheimnis führt. Wir glauben, dass die Gauner das Glück dieser kleinen Stadt radikal beeinträchtigt haben, weil sie hofften, dass es Sie veranlassen würde, Ihr Grab zu verlassen. Und wir glauben, dass der Dasa das weiß und deshalb zögert, nach Ihnen zu suchen. Aus Angst, er könnte Sie verraten.«
»Wer ist wir?«, fragte Mr Swaraswati.
»Mein Onkel Nimrod ist auch ein Dschinn«, sagte Philippa. »Er hat mich gebeten herzukommen, Sie zu suchen und Ihnen meine Hilfe anzubieten.«
»Woher soll ich wissen, dass du nicht mit diesen hinterhältigen Bettelfakiren unter einer Decke steckst, von denen du erzählt hast?«
»Das können Sie nicht«, sagte Philippa. »Nicht mit Sicherheit. Aber ich denke, Sie können mir vertrauen, solange ich nicht versuche, hinter das Geheimnis zu kommen, das Ihnen der Tirthankar in Faizabad anvertraut hat.«
»Ein gutes Argument«, sagte Mr Swaraswati. »Trotzdem ist es ein bisschen schwierig, jemandem zu vertrauen, der unsichtbar bleibt.«
»Das ist klar«, sagte Philippa. »Wie wäre es, wenn ich meinen Körper holen gehe? Er ist nebenan bei meiner Freundin My.«
»Ist sie auch ein Dschinn?«
»Nein. Sie ist ein Mensch. Möchten Sie vielleicht herüberkommen und uns kennenlernen?«
»Ja, das wäre wohl am besten.«
»Wir sind in Zimmer dreizehn.«
Mr Swaraswati
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