Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
die ganze Tragweite dieser Geste begriff. Hätte John seine Frage an die sprechende Bugspitze gerichtet, hätten ihm die Eichenplanken erklären können, dass nur ein Fährmann aus Messing das überleben konnte, was nun geschah.
Philippa Gaunts Tagebuch (Fortsetzung)
Natürlich habe ich dieses Tagebuch versteckt, denn ich glaube, Ayesha würde es vernichten, falls sie, Miss Glovejob oder einer ihrer unsichtbaren Bediensteten es finden würden. Das Tagebuch ist für mich nicht nur eine Möglichkeit festzuhalten, wie lange ich schon hier bin. Ich kann außerdem noch einmal nachlesen, was ich gesagt oder getan habe, und deshalb Wesensänderungen erkennen. Es sind Änderungen, die vom Einatmen der Luft und vom Trinken des Wassers kommen, wie Ayesha gesagt hat – wenigstens von Miss Glovejobs Apfelsaft habe ich nie getrunken. Es sind Änderungen, die mit der Nähe des Baumes der Logik zu tun haben.
Ich habe mir diesen Baum angeschaut. Er sieht nach nicht viel aus. Er wächst in einem Extraraum im Palast und erinnert mehr an eine alte Eiche als an einen Apfelbaum. Aber es hängen Äpfel daran. Es lässt sich nicht bezweifeln, dass er Wirkung auf mich hat. Wie soll ich es mir sonst erklären, was ich beim Frühstück zu Miss Glovejob gesagt habe?
Sie war mit verschleiertem Blick und sentimentalem Getue in ihr Lieblingsthema vertieft: Was würde sie sich wünschen, bevor sie nach Greenville, North Carolina, zurückkehrte (wahrscheinlich, nachdem Ayesha zur großen Lampe amHimmel verschwunden ist). Ich kannte ihr Gerede schon in- und auswendig. Jedenfalls hörte ich mir alles an, dann warf ich ihr meinen unverschämtesten Blick zu und sagte, »sobald die alte Schachtel« tot sei, würde ich Miss Glovejob verfolgen und ihr einen Elementon auf den Hals hetzen.
»Einen Feuer-Elementon«, sagte ich gehässig. »Einen richtig gemeinen, heimtückischen, der Sie auf Schritt und Tritt verfolgen wird.«
Ich habe noch mehr gesagt, viel mehr. Aber ich schäme mich, die Gemeinheiten aufzuschreiben, die ich der armen Miss Glovejob an den Kopf geworfen habe. Sie ist in Tränen aufgelöst vom Frühstückstisch weggelaufen. Ayesha schien ungerührt hinzunehmen, was ich zu ihrer Dienerin und Gefährtin gesagt hatte. Ich denke, von jemandem, der jenseits von gut und böse steht, lässt sich nicht mehr erwarten. Aber nach diesem Vorfall sagte ich zu Ayesha, ich würde mich anscheinend nicht in eine besonders logisch denkende Person verändern, sondern in eine besonders gemeine.
»Das ist ganz normal am Anfang«, sagte sie. »Logik kann ein anspruchsvoller Lehrer sein, Philippa. Bevor du sie vollkommen in dich aufgenommen hast, wird dein Verstand das Logische einer Tatsache mit ganzer Schärfe bis zum Äußersten treiben. Das kann manchmal sehr unangenehm sein. Du betrachtest Miss Glovejob als eines der Hindernisse, um hier wegzukommen, deshalb würdest du dieses Hindernis gern beseitigen.«
Wie auch immer, ich merke jedenfalls eindeutig, dass ich langsam genauso hartherzig werde wie sie. Das erfüllt mich mit Schrecken. Aber was kann ich tun?
DRITTER TAG: Eigentlich weiß ich überhaupt nicht genau, wie lange ich schon hier bin, denn das Tageslicht hält sehr lange an und Dunkelheit gibt es anscheinend kaum. Möglich, dass die Zeit hier langsamer vergeht, so wie bei dem Prozess der Umwandlung, wenn man sich in eine Flasche oder Lampe gleiten lässt. Vielleicht existieren der Hängende Palast und Iravotum ja außerhalb der normalen Dreidimensionalität von Zeit und Raum. Darüber steht nichts in Enos Buch, aber er hat es vor mehreren tausend Jahren geschrieben; wie sollte ein Priester aus Bellilis Zeit etwas über Relativität und Astrophysik gewusst haben?
Es war auf alle Fälle so, dass ich zweimal zu Bett gegangen bin, als es noch hell war, und ich bin aufgewacht, als es immer noch hell war. Ich habe Miss Glovejob nach diesem Phänomen gefragt, aber sie spricht seit gestern nicht mehr mit mir. Natürlich konnte ich das nicht ertragen, ohne der armen Frau neue Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Und komisch, diesmal habe ich richtig gespürt, wie sich etwas in mir verhärtete. Als ob mein Herz – oder was sonst der Sitz des Mitgefühls für andere ist – sich in eine kleine Faust verwandelt hätte. Jedenfalls ein sehr merkwürdiges Gefühl. Und doch …
So schlecht ist es gar nicht. Es ergeben sich durchaus Vorteile, wenn man sein Leben mit etwas mehr Logik betrachtet. Zum Beispiel verstehe ich allmählich etwas sehr
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