Die Kinder des Kapitän Grant
Flusse Australiens. Dieser großartige, im Jahre 1828 von Sturt entdeckte Wasserlauf, der von den australischen Alpen entspringt, und sich durch Aufnahme des Lachlan und des Darling vergrößert, benetzt die ganze Nordgrenze der Provinz Victoria und ergießt sich bei Adelaide in die Encounter-Bay. Er durchströmt reiches und fruchtbares Land, und immer nimmt, Dank der bequemen Eisenbahnverbindung mit Melbourne, die Anzahl der Stationen von Squattern längs seines Laufes zu.
Diese Eisenbahn war damals in einer Länge von hundertfünf Meilen, zwischen Melbourne und Sandhurst, mit Kyneton und Castlemaine dazwischen, im Betriebe. Die im Bau befindliche Strecke reichte noch siebenzig Meilen weiter bis Echuca, der Hauptstadt der Colonie Riverine, welche in eben diesem Jahre am Murray gegründet worden war.
Der siebenunddreißigste Breitengrad durchschnitt den Schienenweg einige Meilen oberhalb Castlemaine, genau an der über den Lutton, einen der zahlreichen Nebenflüsse des Murray, führenden Brücke.
Nach diesem Punkte führte Ayrton den Wagen, im Gefolge der Reiter, welche bis zur Camden-Brücke im Galop liefen. Dorthin trieb sie übrigens auch die Neugierde.
Nach eben dieser Stelle der Eisenbahn drängte sich nämlich eine beträchtliche Menschenmenge. Die Bewohner der benachbarten Stationen verließen ihre Häuser, die Schäfer ihre Heerden und füllten die Zugänge des Weges. Wiederholt war der Ruf: »Zur Bahn! Zur Bahn!« zu hören.
Es mußte irgend ein wichtiges Ereigniß vorliegen, das diese Bewegung veranlaßte. Vielleicht ein großes Unglück.
Glenarvan spornte sein Pferd und sprengte, gefolgt von seinen Begleitern, in wenigen Minuten zur Camden-Brücke. Dort wurde ihm die Ursache dieser Ansammlung klar.
Es hatte ein schreckliches Unglück stattgefunden, zwar kein Zusammenstoß von Zügen, aber eine Entgleisung und ein Sturz, der an die schwersten Katastrophen auf amerikanischen Eisenbahnen erinnerte. Der unter der Bahn hinlaufende Fluß war mit Wagen-und Locomotivtrümmern angefüllt. Mochte nun die Brücke unter der Last des Zuges nachgegeben haben, oder dieser aus den Schienen gesprungen sein, kurz, von sechs Wagen waren fünf der Locomotive nach in den Lutton gestürzt. Der letzte Wagen nur war durch Reißen der Verbindungsketten wie durch ein Wunder erhalten geblieben und stand, eine halbe Klafter vor dem Abgrunde, noch auf den Schienen. Unten war nur eine traurige Anhäufung von geschwärzten und verbogenen Achsen, eingedrückten Wagen, verdrehten Schienen und halbverbrannten Schwellen zu sehen. Der Dampfkessel, der bei dem Stoße gesprungen war, hatte Stücken seiner Platten auf ungeheure Entfernungen geschleudert. Aus diesem ganzen Wirrwarr formloser Massen züngelten da und dort Flammen, und kleine Dampfstrahlen stiegen neben schwarzem Rauche daraus auf. Nach dem entsetzlichen Sturz die noch schrecklichere Feuersbrunst! Breite Blutspuren, abgerissene Gliedmaßen und verkohlte Rumpfe sahen hier und da hervor, und Niemand wagte die Zahl der unter diesen Trümmern begrabenen Opfer zu schätzen.
Glenarvan, Paganel, der Major und Mangles, die mitten unter der Menge waren, hörten die Ansichten, welche darüber von Einem zu dem Andern gingen. Jeder suchte eine Erklärung für die Katastrophe, während man an dem Rettungswerke arbeitete.
»Die Brücke ist zerbrochen, sagte der Eine.
– Zerbrochen! erwiderten Andere, sie ist so wenig zerbrochen, daß sie noch völlig ganz daneben steht. Es ist vergessen worden, sie für den Uebergang des Zuges zu schließen. Das ist Alles!«
Es war nämlich hier eine Drehbrücke, welche zum Zwecke der Schifffahrt geöffnet wurde. Hatte sie der Wächter durch unverzeihliche Nachlässigkeit zu schließen vergessen, und war der in voller Fahrt begriffene Zug, dessen Weg plötzlich abgeschnitten war, in das Bett des Lutton hinabgestürzt? Diese Annahme hatte viel für sich, denn wenn eine Hälfte der Brücke unter den Wagentrümmern lag, so hing doch die andere, nach dem entgegengesetzten Ufer zu gedreht, ganz unversehrt an ihren Ketten. Es war also kein Zweifel mehr! Eine Nachlässigkeit des Bahnwärters hatte diese Katastrophe herbeigeführt.
Das Unglück war in der Nacht dem von Melbourne um elf Uhr fünfundvierzig Minuten abgelassenen Expreßzug Nr. 37 begegnet. Es mochte drei und ein Viertel Uhr Morgens sein, etwa fünfundzwanzig Minuten nach der Abfahrt von der Station Castlemaine, als der Zug bei der Camden-Brücke anlangte und dort seinen Untergang fand. Sofort
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