Die Kinder des Kapitän Grant
Unterredung verbieten; Mulrady bestand aber so sehr darauf, daß der Major nachgeben mußte.
Schon währte das Gespräch einige Minuten, als Glenarvan zurückkam, und er mußte nun Mac Nabbs’ Bericht abwarten.
Bald bewegten sich die Vorhänge des Wagens, und der Major erschien. Am Fuße eines Gummibaumes, wo das Zelt aufgeschlagen war, traf er seine Freunde. Sein sonst so kaltes Gesicht zeigte eine sichtliche Erregung. Als seine Blicke Lady Helena und das junge Mädchen trafen, sprach eine schmerzliche Traurigkeit aus denselben.
Glenarvan befragte ihn, und der Major berichtete im Wesentlichen das Folgende:
»Als Mulrady das Lager verließ, folgte er einem der von Paganel bezeichneten Fußpfade. Er beeilte sich, so sehr es die Finsterniß der Nacht eben zuließ. Seiner Schätzung nach hatte er etwa zwei Meilen zurückgelegt, als sich mehrere Männer – fünf glaubte er – seinem Pferde in den Weg legten. Das Thier bäumte sich. Mulrady ergriff seinen Revolver und gab Feuer. Es schien ihm, als ob zwei seiner Angreifer stürzten. Bei dem Schein der Schüsse erkannte er Ben Joyce. Doch das war Alles. Er hatte nicht Zeit, seine Waffe vollständig abzufeuern. Er fühlte einen gegen seine rechte Seite geführten heftigen Stoß und fiel nieder.
Dennoch hatte er das Bewußtsein nicht vollkommen verloren. Die Mörder hielten ihn für todt. Er fühlte, daß man ihn durchsuchte. Dann fielen die Worte: ›Ich habe den Brief!‹ die Einer der Sträflinge aussprach. – ›Gieb her, erwiderte Ben Joyce, und nun ist der Duncan unser.‹«
Bei dieser Stelle von Mac Nabbs’ Berichte konnte Glenarvan einen Aufschrei nicht unterdrücken.
Mac Nabbs fuhr fort:
»Nun fangt Ihr Anderen das Pferd ein, sprach Ben Joyce weiter. In zwei Tagen werde ich an Bord des Duncan sein; in sechs bei der Twofold-Bai. Dort ist das Stelldichein. Mylords Gesellschaft wird noch in den Sümpfen des Snowy aufgehalten sein. Geht über die Brücke von Kemple-pier, wendet Euch zur Küste und erwartet mich. Ich werde schon ein Mittel finden, Euch an Bord zu bringen. Sind wir einmal mit einem Schiffe, wie dem Duncan, auf offener See, so sind wir die Herren des Indischen Oceans.
– ›Hurrah! Ben Joyce!‹ riefen die Sträflinge. Mulrady’s Pferd wurde herangeführt, und im Galop verschwand Ben Joyce auf dem Wege nach Lucknow, während sich die Bande südöstlich nach dem Snowy wandte. Trotz seiner schweren Verwundung hatte Mulrady die Kraft, sich bis dreihundert Schritte vor das Lager zu schleppen, wo wir ihn dem Tode nahe aufgenommen haben. Das ist, sagte Mac Nabbs, Mulrady’s Geschichte. Sie begreifen nun, warum dem muthigen Matrosen so viel daran lag, zu sprechen.«
Dieser Bericht machte Glenarvan und die Seinen erstarren.
»Piraten! Piraten! rief Glenarvan aus. Meine Mannschaft ermordet! Mein Duncan in den Händen von Räubern!
– Ja! antwortete der Major, denn Ben Joyce wird das Schiff übernehmen, und dann …
– Wohlan denn! So müssen wir vor diesen Elenden an der Küste ankommen, sagte Paganel.
– Aber wie den Snowy überschreiten? fragte Wilson.
– So wie Jene, erwiderte Glenarvan. Sie wollen über die Kemple-pier-Brücke gehen, und wir thun das auch.
– Aber was soll mit Mulrady werden? fragte Lady Helena.
– Wir tragen ihn! Wir lösen uns ab! Kann ich meine Mannschaft Ben Joyce’s Bande ohne Vertheidigung überlassen?«
Der Gedanke, die Brücke bei Kemple-pier zu benutzen, war ausführbar, aber kühn. Die Sträflinge konnten sich an dieser Brücke festsetzen und sie vertheidigen. Sie waren mindestens dreißig Mann gegen sieben! Aber es giebt Augenblicke, wo man Nichts berechnet und um jeden Preis auf’s Ziel los geht.
»Mylord, sagte da John Mangles, bevor wir diesen letzten Ausweg wählen und gegen diese Brücke hin uns in Gefahren begeben, wird es klug sein, sie erst auszukundschaften. Ich nehme das auf mich.
– Ich begleite Sie, John«, erbot sich Paganel.
Nach Annahme dieses Vorschlages rüsteten sich John Mangles und Paganel sofort zum Aufbruche. Sie mußten an dem Snowy hinabgehen, seinen Ufern bis zu der von Ben Joyce bezeichneten Stelle folgen, und sich dabei vor den Augen der Sträflinge verbergen, die an den Ufern herumstreifen konnten.
Die beiden muthigen Genossen gingen also, mit Lebensmitteln und Waffen wohl versehen, ab, und bald verschwanden sie schleichend in dem hohen Schilfe des Ufers.
Den ganzen Tag über erwartete man sie. Noch am Abend waren sie nicht zurück. Es regten sich lebhafte
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