Die Kinder des Kapitän Grant
weit ging, eine Sprache statt einer andern zu lernen.
– Nun, mein lieber Edward, oder vielmehr Sie, mein braver Paganel, so erklären Sie mir, was hier vorliegt.
– Ich erkläre nicht, sagte Paganel, ich beweise. Hier ist das Buch, in dem ich mich täglich in den Schwierigkeiten der spanischen Sprache übe. Betrachten Sie es selbst, Major, und Sie werden ja sehen, ob ich Unrecht habe oder nicht!«
Bei diesen Worten suchte Paganel in seinen Taschen; nach wenigen Minuten zog er einen in sehr schlechtem Zustande befindlichen Band hervor und reichte ihn zuversichtlich hin. Der Major nahm das Buch und sah ihn an:
»Nun, was ist das für ein Buch? fragte er.
– Das ist ›Die Lusiade‹, erwiderte Paganel, ein herrliches Heldengedicht, welches …
– Die Lusiade, rief erstaunt Glenarvan.
– Ja wohl, mein Freund, die Lusiade von dem großen Camoëns, nichts mehr, nichts weniger!
– Camoëns, wiederholte Lord Edward, aber, Sie unglücklicher guter Freund, Camoëns war – ein Portugiese! Portugiesisch haben Sie seit sechs Wochen getrieben!
– Camoëns! Lusiade! Portugiesisch! …«
Paganel konnte nichts weiter vorbringen. Unter der Brille trübten sich seine Augen, während ihm ein homerisches Gelächter in die Ohren schallte, denn alle seine Genossen hatten sich um ihn versammelt.
Der Patagonier verzog nicht die Miene; er erwartete geduldig die Aufklärung eines Zwischenfalles, der ihm ganz unverständlich war.
»O, ich Gedankenloser! Ich Narr! sagte endlich Paganel. Wie? Es ist also wirklich so und die Geschichte nicht blos zum Scherz erfunden? Ich habe das gethan? Ich? Das ist ja eine Sprachenverwirrung wie die zu Babel. Ach, Freunde, meine lieben Freunde! Nach Indien abzureisen und in Chili anzukommen! Spanisch lernen und Portugiesisch sprechen, das ist doch zu stark, und wenn das so fortgeht, werf’ ich mich einmal selbst, statt meiner Cigarre, zum Fenster hinaus.«
Wenn man hörte, wie Paganel sein Unglück auffaßte, wenn man sah, wie komisch er sich in seinem Mißgeschick benahm, war es unmöglich, ernsthaft zu bleiben. Uebrigens ging er selbst mit gutem Beispiele voran.
»Lacht nur, Freunde, sagte er; lacht aus vollem Herzen; Niemand kann mich so sehr verlachen, als ich selbst.«
Dazu ließ er ein so furchtbares Gelächter erschallen, wie es niemals aus dem Munde eines Gelehrten gekommen ist.
»Jedenfalls haben wir nun keinen Dolmetscher, sagte der Major.
– O, darüber seien Sie außer Sorge, erwiderte Paganel; das Portugiesische und das Spanische ähneln sich ebenso sehr, als ich mich vorher geirrt habe; aber diese Aehnlichkeit soll mir helfen, meinen Irrthum wieder gut zu machen, und bald werd’ ich im Stande sein, dem würdigen Patagonier in der Sprache, die er so gut spricht, zu danken.«
Paganel hatte Recht, denn bald konnte er mit dem Eingeborenen einige Worte wechseln. Er hörte, daß der Patagonier Thalcave hieß, ein Wort, welches in der araucanischen Sprache soviel wie »Der Donnerer« bedeutet.
Diesen Beinamen verdankte er gewiß seiner Geschicklichkeit in Handhabung der Feuerwaffen.
Am meisten erfreute es aber Glenarvan zu hören, daß der Patagonier seines Zeichens Führer, und zwar Führer in den Pampas sei. Dieses Zusammentreffen erschien so von der Vorsehung gefügt, daß ihnen der Erfolg ihres Unternehmens schon zur Thatsache wurde und Keiner mehr in die Rettung des Kapitän Grant einen Zweifel setzte.
Indessen kehrten die Reisenden nebst dem Patagonier zu Robert zurück. Dieser streckte seine Hände dem Eingeborenen entgegen, welcher ihm ohne ein Wort zu sprechen, die Hand auf den Kopf legte. Er untersuchte das Kind und befühlte dessen schmerzende Gliedmaßen. Dann pflückte er lächelnd an dem Flußufer einige Hände voll wilden Sellerie und frottirte damit den Körper des Kranken. Unter dieser mit unendlicher Zartheit ausgeführten Operation fühlte der Knabe seine Kräfte wiederkehren, und es war offenbar, daß einige Stunden Ruhe hinreichen wurden, sie ganz wieder herzustellen.
Man beschloß also, diesen Tag und die folgende Nacht zu lagern. Es waren auch noch zwei wichtige Fragen zu entscheiden, betreffs der Nahrungsmittel und ihres Transportes. Es fehlte an Lebensmitteln wie an Mauleseln gleichmäßig. Zum Glück war nun Thalcave da. Dieser Führer, gewohnt die Reisenden längs der patagonischen Grenzen hin zu geleiten und einer der intelligentesten Baqueanos des Landes, machte sich anheischig, Alles zu beschaffen, was Glenarvan und seiner kleinen
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