Die Kinder des Kapitän Grant
Gesellschaft fehlte. Er erbot sich, sie nach einer kaum vier Meilen entfernten indianischen »Tolderia« zu geleiten, wo sie alles für die Expedition Nothwendige finden würden. Dieser Vorschlag wurde halb mittels Gesten gemacht und halb durch spanische Worte, welche Paganel zu verstehen begann. Sofort nahmen Glenarvan und sein gelehrter Freund von den Uebrigen Abschied und gingen unter Führung des Patagoniers wieder stromaufwärts.
Einundeinhalbe Stunde gingen sie ziemlich schnell dahin und mußten große Schritte machen, um dem Riesen Thalcave folgen zu können. Diese ganze Gegend der Anden ist sehr schön und äußerst fruchtbar. Fette Weideplätze folgten einer auf den anderen, und hätten hingereicht, ein Heer von 100,000 Wiederkäuern zu ernähren. Große Teiche, die mit einander durch ein Netz von Nebenflüssen verbunden waren, lieferten diesen Ebenen eine befruchtende Feuchtigkeit. Schwarzköpfige Schwäne erlustigten sich darauf mit launischem Behagen, und machten zahlreichen Straußen, die drollig über die Llanos sprangen, die Herrschaft über das Gewässer streitig. Die Vogelwelt war sehr farbenschön, sehr lärmend, aber auch von bewundernswerther Mannigfaltigkeit. Isacas, schlanke grauliche Turteltauben mit weißgestreiftem Gefieder, und gelbe Cardinäle schaukelten sich auf den Zweigen der Bäume, wie lebende Blumen; und das ganze gefiederte Volk der Sperlingsarten, »Chingolos«, »Hilgueros« und »Monjitas« verfolgte sich in schnellem Fluge und erfüllte die Luft mit seinem durchdringenden Geschrei.
Jacques Paganel fiel von einer Bewunderung in die andere; unaufhörliche Ausrufe entströmten seinen Lippen, sehr zur Verwunderung des Patagoniers, der es ganz natürlich fand, daß Vögel in den Lüften, Schwäne auf den Weihern und Gras auf den Wiesengründen war. Der Gelehrte hatte keine Ursache, diesen Weg zu bedauern, noch sich über seine Länge zu beklagen. Er glaubte kaum aufgebrochen zu sein, als sich auch schon das indianische Lager vor seinen Augen entfaltete.
Diese Tolderia befand sich im Grunde eines zwischen den Bergabhängen der Anden eingeklemmten Thales. Dort lebten unter Hütten von Gezweig einige dreißig nomadisirende Indianer, welche große Heerden Milchkühe, Schafe, Ochsen und Pferde weideten. Sie zogen von einem Weidegrund zum andern und fanden den Tisch für ihre vierfüßigen Gäste immer gedeckt.
Der Mischlingstypus des Menschenschlags von Araucanien, der Pehuenchem und Aucas, jene olivenfarbigen Ando-Peruaner von mittlerem Wuchs, kernhaften Formen, niedriger Stirn, fast kreisrundem Gesicht, schmalen Lippen, hervorspringenden Backenknochen, weibischen Zügen und kalter Physiognomie, konnten den Blicken eines Anthropologen unmöglich als eine reine Race erscheinen. Im Allgemeinen boten diese Eingeborenen sehr wenig Interesse. Aber Glenarvan hatte es auf ihre Thiere abgesehen, nicht auf sie selbst. Sobald sie nur Ochsen und Pferde hatten, verlangte er von ihnen nichts weiter.
Thalcave unterzog sich der Unterhandlung, welche nicht lange währte. Für sieben kleine argentinische Pferde mit voller Ausrüstung, hundert Pfund Charqui oder getrocknetes Fleisch, einige Maß Reis und mehrere Lederschläuche für das Wasser, erhielten die Indianer, statt Wein oder Rum, den sie freilich weit lieber gehabt hätten, zwanzig Unzen Gold 6 , deren Werth sie vollkommen kannten. Glenarvan wollte noch ein achtes Pferd für den Patagonier kaufen, was dieser aber als unnöthig abwies.
Nach Abschluß des Handels nahm Glenarvan von seinen neuen »Lieferanten«, wie Paganel sich ausdrückte, Abschied und gelangte in kaum einer halben Stunde nach dem Lagerplatze zurück. Mit Freudenrufen ward seine Rückkehr begrüßt, doch galten diese im Grunde den Lebensmitteln und den Reitpferden. Alle aßen mit gutem Appetit; Robert nahm auch Etwas zu sich; seine Kräfte waren schon fast ganz wiedergekehrt.
Der Rest des Tages verging in vollkommener Ruhe. Man plauderte von allerlei, von den theuren Abwesenden, vom »Duncan«, vom Kapitän John Mangles, seiner braven Mannschaft und von Harry Grant, der vielleicht nicht fern war.
Paganel für seine Person wich dem Indianer nicht mehr von der Seite. Doch fühlte er sich nicht behaglich bei einem echten Patagonier, neben dem er für einen Zwerg gelten konnte. Dann marterte er den ernsthaften Indianer mit spanischen Redensarten, und dieser ließ ihn gewähren. Diesmal studirte der Geograph ohne Hilfe eines Buches. Immer hörte man ihn mit Hilfe der
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