Die Kinder des Kapitän Grant
dem Wort und falsch mit der That, sagte Paganel, nachdem er seinen Begleitern dieses schöne Bild der Patagoniersprache übersetzt hatte. – Und werden wir unsern Freund befreien können? fügte er hinzu.
– Vielleicht; wenn er noch in den Händen der Indianer ist.
– Und wann habt Ihr von ihm sprechen hören?
– Das ist lange Zeit her, und seitdem hat die Sonne schon zwei Sommer über den Himmel der Pampas geführt!«
Glenarvan’s Freude war unbeschreiblich. Diese Antwort stimmte genau mit den Angaben des Documentes überein. Aber eine Frage an Thalcave war noch übrig. Paganel stellte sie sofort.
»Ihr sprecht immer von einem einzigen Gefangenen, sagte er; waren es denn nicht deren drei?
– Das weiß ich nicht, antwortete Thalcave.
– Und Ihr wißt Nichts von ihrer thatsächlichen Lage?
– Nichts.«
Dieses letzte Wort schloß die Unterhaltung. Es war möglich, daß die drei Gefangenen schon seit langer Zeit getrennt waren. Aus den Angaben des Patagoniers ging aber doch hervor, daß die Indianer von einem Europäer sprachen, der in ihre Gewalt gefallen sei. Das Datum seiner Gefangennahme, der Ort, wo er sich befinden sollte, Alles, bis auf die von dem Patagonier gebrauchte Redensart, um seinen Muth zu bezeichnen, bezog sich offenbar auf Kapitän Harry Grant.
Am nächsten Tage, den 25. October, brachen die Reisenden mit frischer Zuversicht nach Osten hin auf. Die traurige, einförmige Ebene bildete eine jener Strecken ohne Ende, die in der Landessprache »Travesias« genannt werden. Der dem Einfluß der Winde preisgegebene thonige Boden war vollkommen eben; kein Gestein, kaum ein Kiesel fand sich, außer in einigen unfruchtbaren und ausgetrockneten Höhlungen oder am Rande von den Indianern künstlich hergestellter Wasserlachen. In langen Zwischenräumen erschienen niedrige Wälder mit dunkeln Baumwipfeln, hier und da überragt von weißlichen Johannisbrodbäumen, deren Schotenfrucht einen zuckerhaltigen, angenehmen und erfrischenden Saft enthält; ferner einige Gruppen Terpentinbäume, »Chañaren«, wilder Ginster und allerlei stachlige Baumarten, deren Dürre schon die Unfruchtbarkeit des Bodens verrieth.
Der 26. October war ein sehr anstrengender Tag. Es galt, den Rio Colorado zu erreichen. Die von ihren Reitern angetriebenen Pferde entwickelten aber eine solche Schnelligkeit, daß man an demselben Abende, unter 69°45’ der Länge, den schönen Strom der Pamparegionen erreichte. Sein indischer Name, der »Cobu Leubu«, heißt so viel wie »großer Fluß«, und nach einem langen Laufe mündet er im Atlantischen Ocean. Nahe seiner Mündung zeigt er die merkwürdige Eigenschaft, daß seine Wassermenge mit der Annäherung an das Meer sich vermindert, entweder durch Einsaugung, oder durch Verdunstung; doch ist die Ursache dieser Erscheinung noch nicht vollkommen aufgehellt.
Bei der Ankunft am Colorado war es Paganel’s erstes Streben, sich in seinem durch röthliche Thonerde gefärbten Wasser »geographisch« zu baden. Er war erstaunt, dasselbe so tief zu finden, was übrigens nur vom Schmelzen des Schnees durch die beginnende Sommersonne herrührte. Dabei hatte der Fluß auch eine so beträchtliche Breite, daß ihn die Pferde nicht durchschwimmen konnten. Zum Glück fand sich etwa tausend Schritte stromaufwärts eine aus Flechtwerk bestehende Brücke, die durch Lederriemen unterstützt und auf indianische Art aufgehangen war. So konnte die kleine Gesellschaft über den Strom setzen und an seinem linken Ufer lagern.
Noch vor dem Einschlafen wollte Paganel eine genaue Aufnahme des Colorado ausführen, den er mit größter Sorgfalt in seine Karte einzeichnete, statt des Yaron-Dzangbo-Tchou, der ohne ihn in den Gebirgen von Tibet dahinfloß.
Während der beiden folgenden Tage, d.h. am 27. und 28. October, ging die Reise ohne Zwischenfälle von statten. Dieselbe Eintönigkeit und Unfruchtbarkeit des Bodens. Nirgends möchte es eine so wechsellose Landschaft, ein so wenig charakterisirtes Panorama geben. Der Boden wurde nur allmälig feuchter. Man mußte »Canadas«, d.h. überschwemmte Untiefen, und »Esteros«, das sind permanente Wasserflächen, die mit Sumpfpflanzen angefüllt sind, passiren. Abends hielten die Pferde am Ufer eines großen, sehr salzhaltigen Sees, des Ure Lanquem, der von den Indianern der »bittre See« genannt wird und im Jahre 1862 Zeuge der grausamen Repressalien der argentinischen Truppen war.
Man lagerte sich in gewohnter Art und Weise, und ohne die Anwesenheit
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