Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
Vom Netzwerk:
eines ermordeten kleinen Mädchens in ihrer Nähe zu wissen. Sie riss der Frau das Medaillon aus der Hand, drehte sich um und rannte. Ohne nachzudenken hatte sie einen anderen Weg eingeschlagen als den, den sie gekommen war, ein verwilderter Pfad wie alle übrigen, mit Wurzeln, die sie stolpern ließen und Dornenranken, die sich in ihrem Kleid verfingen, und mehr als einmal hörte sie das verdächtige Reißen von Stoff auf ihrer wilden Flucht durch den Park. Dann mündete der Pfad in einen breiteren Weg, von dem Cristino nur hoffen konnte, dass es der Weg zum Tor war, links musste das Tor liegen, also nach links… Und während sie sich in diese Richtung wandte, warf sie einen Blick über die Schulter zurück, und einen Augenblick lang sah sie das Haus. Vielleicht war «sehen» zu viel gesagt, mit dem dazwischen liegenden Buschwerk und dem Abstand von noch einigen hundert Schritten zu dem großen Gebäude. Im Grunde war die Zeitspanne auch viel zu kurz, um irgendetwas wahrzunehmen außer einer hellen Mauer und dunklen Fensterhöhlen. Dennoch, als sie in panischer Flucht den verwucherten Weg entlangstolperte, stand dieses flüchtig wahrgenommene Bild in einer Deutlichkeit vor ihren Augen, als habe sie es stundenlang betrachtet: die Treppe mit dem geschwungenen Geländer, an deren Enden steinerne Greifvögel kauerten, zu beiden Seiten auf den Stufen große tönerne Töpfe, in denen Oleander blühten, die bemalten blauen Fensterläden, weit zur Seite geschwungen, um die Sonne einzulassen, das mit roten Ziegeln gedeckte Dach, von dem wehende Banner, verziert mit den Silhouetten schwarzer Vögel, ins Blau des Himmels hinaufflatterten, der steinerne Balkon, den ein Baldachin aus weißem Stoff überspannte. Dann war da das Tor, durch das sie hi279
    nausstürzte, als sei der Teufel selbst hinter ihr her, und ihr friedlich grasendes Pferd, und mit zitternden Fingern versuchte sie, die Zügel zu lösen. Es hätte sie nicht weiter gewundert, wäre der gesamte Garten hinter ihr mit einem leisen Seufzer zu Staub zerfallen.
    «Was in aller Welt habt Ihr hier zu suchen?» Die Stimme ließ
    Cristino mit einem Aufschrei zusammenfahren. Sie ließ die Zügel des Pferdes los und machte einen Satz rückwärts, der sie schier ins Gestrüpp stolpern ließ.
    Vor ihr hielt ein Fuchshengst, und auf dessen Rücken saß, die Augen zusammengekniffen, die Stirn gerunzelt, Arnac de Couvencour. «I… Ihr seid es… oh Gott, habt Ihr mich erschreckt… was macht Ihr denn hier?», keuchte sie.
    «Genau das frage ich Euch!» Arnac schwang sich von seinem Pferd, seine Augen blitzten wütend. «Seid Ihr denn wahnsinnig, alleine hier im Wald herumzugeistern, nach allem, was passiert ist?»
    Sie wurde rot. «Ich habe mich verirrt…», murmelte sie.
    «Ach, und da seid Ihr in diese Ruine hier hineingelaufen, um nach dem Weg zu fragen, oder was? Himmel, in solchen verfallenen Gemäuern sind schon Leute umgekommen, weil sie durch morsche Holzbohlen in einen alten Brunnen gestürzt sind!»
    «Ich… es… es sah so… traurig aus… und so schön…» Cristino zitterte plötzlich am ganzen Körper, ihr Gesicht war kreidebleich. Die Wut in Couvencours Gesicht wich plötzlicher Sorge. «Habe ich Euch so erschreckt? Das tut mir leid», sagte er.
    «Neinnein, nicht Ihr, die Frau…» Sie konnte nicht mehr weiterreden. Ihr war plötzlich zum Heulen zumute.
    «Welche Frau?»
    «Da drinnen, in dem Garten, da war so eine alte Frau. Sie hat so… komische Sachen zu mir gesagt.»
    «Komische Sachen? Was für komische Sachen?»
    «Sie… sie hat von Kindern erzählt, die da gewohnt haben und ermordet worden seien… von einem kleinen Mädchen, das Agnes hieß. Und sie hat gesagt, dass der Geist dieses Mädchens mit mir in Verbindung steht, weil ich dieses Medaillon trage.»
    «Welches? Das da?» Arnac de Couvencour blickte mit gerunzelter Stirn auf das Medaillon. 280
    «Auf der Rückseite steht», Cristino begann zu schluchzen, «‹Sie beschütze dich, Agnes, Sonne unseres Lebens.›»
    «Wo habt Ihr das Medaillon denn her?», fragte Couvencour.
    «Hier gefunden?»
    «Nein! Ich habe es gekauft, auf dem Markt. Vor zwei Wochen etwa. Und die Alte hat gesagt, dass diese Agnes mich auserwählt hat und dass die Toten wiederkommen und… es war so gruselig, ich hatte solche Angst!»
    «Himmel, das ist Unsinn, und das wisst Ihr!», sagte Couvencour ärgerlich. «Tote kommen nicht wieder und verstecken sich auch nicht in Medaillons, um mit anderen in Verbindung zu

Weitere Kostenlose Bücher