Die Kinder des Ketzers
Brieul. Alexandre de Mergoult, der soeben ein Glas Wasser leerte, prostete Sébastien zu. «Los, Monsieur le Comte. Kneifen gilt nicht.»
Sébastien seufzte. Langsam, widerwillig kletterte er auf die Füße und tappte auf den Rasen hinaus. Einige der Umstehenden applaudierten. Fabiou sah ihm belustigt hinterher. Selbst schuld – erst große Töne spucken, von wegen Fuchs und so, aber wenn es ernst wird, die Panik kriegen.
Wobei…
Da war so etwas wie ein kleines, vergnügtes Funkeln in Sébastiens Augen…
Alexandre de Mergoult stellte sein Glas ab und trat auf ihn zu. Zweimal ließ er seinen Degen zischend durch die Luft sausen. «Los, Monsieur. Ich verspreche Euch auch, dass ich Euch frühestens beim fünften Schlagabtausch entwaffnen werde.» Seine Freunde lachten, bis auf St. Roque, der es nicht ganz verstanden hatte.
«Wie großzügig», sagte Sébastien und griff an.
Und dem Publikum blieb der Atem stehen.
Sébastiens Kampfstil hatte nichts mit dem wilden Gehaue gemein, das sie in der letzten Stunde an diesem Ort hatten bewundern dürfen. Mit der Eleganz eines Tänzers wirbelte er um Mergoult herum, wie eine Schlangenzunge umzuckte seine Klinge den Gegner, täuschte an, wich aus, parierte, attackierte. Mergoults gewaltsame Schläge verpufften im Nichts, glitten ab an einer Klinge, die überall und nirgends zugleich war. Man sah Mergoult keuchen, auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtröpfchen, während seine Bewegungen immer unkontrollierter, seine Schläge immer wütender wurden. Die Damen erbleichten, der Freundeskreis stimmte ein verzweifeltes Unterstützungsgejohle an, ein paar anerkennende Bemerkungen wurden hier und da gemurmelt, und dann sah Alex304
andre de Mergoult seine Stunde gekommen, denn Trévigny machte eine weite Ausholbewegung, die ihn für einen Moment ungedeckt ließ, und Mergoult hieb zu, fest entschlossen, diesem frechen Franzosen eine ordentliche Schramme zu verpassen. Nur, dass da plötzlich kein Franzose mehr war. Mit einer eleganten wie beiläufigen Bewegung war Sébastien zur Seite getreten, Mergoult strauchelte, ruderte mit den Armen, und als er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, lag die Spitze von Sébastiens Degen an seiner Brust. « Touché », sagte Sébastien grinsend und schob den Degen zurück in die Scheide.
Einen Moment lang war es noch ziemlich still, dann brandete stürmischer Applaus los, vor allem von Seiten der Weiblichkeit.
«Ist er nicht elegant? Ist er nicht gutaussehend?», tuschelte es zwischen den Mädchen, während sie nervös kicherten und klatschten wie die Wilden, und Cristino und Catarino beeilten sich, allen zu versichern, wie gut sie Trévigny kannten und dass sie mit ihm den ganzen Weg von Castelblanc hierher zusammen gereist waren. Sébastien genoss den plötzlichen Ruhm sichtlich, verbeugte sich wie ein Zauberkünstler in alle Richtungen und sagte zu allem Überfluss noch zu Mergoult: «Ihr solltet etwas weniger mit Kraft und etwas mehr mit Köpfchen kämpfen, das könnte Euch gut tun.»
Mergoults Blick konnte man an sich nicht als wütend oder gekränkt bezeichnen. In seinen Augen lag schlichtweg blanker Hass. Und dann, ohne jede Vorwarnung, drehte er sich zur Seite und brüllte eine Gestalt am Rand seines Gesichtsfelds an: «Was glotzt du so, du Drecksack?»
Nicht nur Trévigny wandte sich um, um den Auslöser für Alexandres plötzlichen Ausbruch zu entdecken. Der saß indes ziemlich ruhig im Gras, den Rücken gegen den Stamm einer Pinie gelehnt, und sagte ungerührt: «Glotze ich? Pardon , das war mir jetzt wirklich nicht aufgefallen.»
Es war Arnac de Couvencour.
Mergoults Gesicht war dunkelrot angelaufen. Offensichtlich gab es für ihn etwas Schlimmeres, als in einem Fechtkampf besiegt worden zu sein. Nämlich vor Arnacs Augen besiegt worden zu sein. «Was machst du überhaupt hier, du dreckiger kleiner Razat, 305
hä?», schrie er, während er ein paar heftige Schritte in Couvencours Richtung machte. «Du hast hier nichts verloren!»
Ein angedeutetes Grinsen auf Couvencours Gesicht. «Ich muss dich enttäuschen, Mergoult. Unsere Familie hat eine offizielle Einladung erhalten», sagte er spöttisch.
«Deine Familie, so!», höhnte Alexandre. «Und wo ist sie, deine saubere Familie? Dein Alter hatte wohl Angst, uns unter die Augen zu kommen, was? Hat wohl befürchtet, dass wir ihm seinen verdammten Ketzerhals umdrehen könnten, hä?»
Arnac de Couvencour stand auf und machte einen Schritt in Mergoults Richtung. Sie standen
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