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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Kampf unerfahren waren, konnte er der Übermacht nicht lange standhalten und wurde von den Mordbuden erschlagen, die daraufhin auch seine Frau und seinen Sohn, einen Knaben von sieben Jahren, gnadenlos abschlachteten. Nur dem beherzten Eingreifen des älteren Degrelho, Archimède, war es zu verdanken, dass wenigstens die Töchter der Familie aus dem Inferno gerettet werden konnten. So viel zur Zuverlässigkeit des Berichtes der Carcisten – St. Roque hatte schließlich behauptet, vier Kinder Degrelhos seien bei dem Überfall ums Leben gekommen!
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    Der Stadtschreiber erging sich daraufhin in einer akribischen Beschreibung des Zustandes der Leichen, wie sie am frühen Morgen des folgenden Tages von einem eilig aus Seloun herbeigeholten Trupp der Stadtmiliz vorgefunden wurden, bereits angefressen von Ratten, Bussarden und Krähen. Einen besonders grausigen Anblick bot Hector Degrelho selbst, denn obwohl ihm die Kehle durchgeschnitten worden war, was zweifellos seinen Tod zur Folge gehabt hatte, war sein Leichnam zusätzlich wie der eines gemeinen Verbrechers am Halse aufgehängt worden, an einer Pinie, um genau zu sein. Der neue Senher d’Astain, Archimède Degrelho, leistete bei diesem Anblick den heiligen Schwur, nicht eher zu rasten und zu ruhen, als dass die Mörder allesamt ihrer gerechten Strafe zugeführt seien. Der Stadtschreiber folgte Archimède Degrelho nun – nicht ohne eine gewisse schaulustige Begeisterung – auf seinen Feldzug gegen die Antonius-Jünger. Offenbar war es kein Problem gewesen, Unterstützung für sein Vorhaben zu finden, die Edelleute des Luberoun, geschädigt durch die Überfälle der Antonius-Jünger, brauchte man nicht zweimal um ihre Mitwirkung zu bitten, und ihre Männer standen ohnehin noch durch den Arrêt de Mérindol unter Waffen. Schwieriger war es dagegen, die Räuber in ihren Verstecken im Luberoun aufzustöbern, umso mehr, als sie offenbar, wie der Schreiber mit Entsetzen festhalten musste, Unterstützung bei den ansässigen Bauern fanden – mehr als einmal schilderte der Schreiber, wie man sich gezwungen sah, einen treulosen Bauernburschen an einem geeigneten Geäst aufzuknüpfen, weil er versucht hatte, die Antonius-Jünger zu warnen.
    Schließlich gelang das Vorhaben aber doch, und die Mordbande wurde in einem Seitental der Coumbo in die Enge getrieben. Die Überraschung war groß, als man feststellen musste, dass die Räuber, denen sich offensichtlich einige versprengte Banden der Waldenser angeschlossen hatten, mitnichten eine wehrlose Beute waren; mit geradezu militärischer Disziplin und ausgesprochen hinterhältigen Fallen verteidigten sich die Antonius-Jünger zwei volle Tage lang, bevor die Edelleute endgültig die Oberhand gewannen. Ein Teil der Bande versuchte daraufhin, über die Felsen den Luberoun hinauf zu fliehen, was aber aufgrund des unweg328
    samen Geländes nur wenigen gelang; die allermeisten, darunter auch Joan lou Pastre, Enri Nicoulau und dessen Sohn, und die übrigen Anführer, ein gewisser Miquéu Sest, ein Jan Crau und ein Rouland lou Pichot, Letzterer zudem ein Anhänger der waldensischen Sekte, gingen ihren Verfolgern in die Falle. Ein Teil von ihnen wurde an Ort und Stelle getötet. Die anderen wurden nach Ate gebracht, wo ihnen nach langwierigen Verhören der Prozess gemacht wurde. Jean Maynier d’Oppède, der Parlamentspräsident, führte persönlich den Vorsitz und setzte sich für eine gnadenlose Bestrafung der Raubgesellen ein.
    Pedantisch wie er war, ließ es sich der Schreiber nicht nehmen, die Prozessakten von Ate quasi zu kopieren; jeder Angeklagte, die Weiber und Kinder mitgerechnet, war namentlich erwähnt, und bei jedem war vermerkt, ob das Urteil jetzt auf Zwangsarbeit oder Tod lautete. Die Männer im wehrfähigen Alter wurden ausnahmslos zum Tode verurteilt, die meisten zum Tod am Galgen, die fünf Anführer zum Tod auf dem Rad.
    Rückblickend betrachtet hätte es Fabious Seelenleben wahrscheinlich gut getan, hätte er die Lektüre an dieser Stelle unterbrochen, aber unbeschlagen wie er in dieser Hinsicht war – unter dem Begriff «Tod auf dem Rad» konnte er sich nicht allzu viel vorstellen
    –, las er fröhlich weiter, mit dem Ergebnis, dass letztlich nicht viel dazu fehlte, und er hätte den Parkettboden der Unibibliothek vollgekotzt. Der gute Stadtschreiber machte sich jetzt nämlich an eine minutiöse Beschreibung der Hinrichtung der Antonius-Jünger zu Ate am 15. Juli 1545, erzählte in anschaulichen Worten, wie ein

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