Die Kinder des Ketzers
würde ich vorschlagen, vergisst du die ganze Geschichte und hörst auf, dich in Sachen einzumischen, die dich nichts angehen.»
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Fabiou würgte die Enttäuschung herunter. «Was heißt, es geht mich nichts an? Rings um mich herum werden dauernd Leute ermordet, und mich soll das nichts angehen?», fragte er ärgerlich.
«Sag mal, warum überlässt du diese Angelegenheit nicht einfach denen, die dafür zuständig sind?», fragte Ingelfinger belustigt.
«Dem Viguié, den Konsuln, dem Parlament? Den Erwachsenen?»
«Weil die alle immer nur eine einfache, harmlose Erklärung für alles suchen!», zischte Fabiou wütend. «Aber ich, ich suche nach der Wahrheit!»
«Die Wahrheit…», wiederholte Ingelfinger spöttisch. «Die Wahrheit, mein Junge, ist ein hässliches, schwarzes Insekt, eine vielköpfige Medusa, deren Anblick den Menschen das Blut in den Adern gefrieren lässt. Und ich möchte nicht in deiner Haut stecken, wenn du sie herausfindest.»
Fabiou fiel im ersten Moment nichts ein, was er darauf hätte entgegnen können, doch schließlich brachte er zumindest hervor: «Ich werde herauskriegen, wer hinter den Morden steckt, darauf könnt Ihr Gift nehmen.»
Da seufzte Ingelfinger tief und betrübt und sagte: «Fabiou, Fabiou… du lässt dich da auf eine Sache ein, die nicht eine, sondern zehn Meilen zu groß für dich ist. An deiner Stelle wäre ich vorsichtig. Schließlich ist deine Familie schon von genug Unglücksfällen getroffen worden, habe ich recht?» Und mit diesen Worten ließ er Fabiou stehen und schritt dem Ausgang zu.
Fabiou schnappte zunächst einmal nach Luft und stellte dann die Kunst der Rhetorik ins Regal zurück. Das hatte sich ja gelohnt! Er war so schlau wie vorher, um nicht zu sagen, allmählich völlig mit seiner Weisheit am Ende. Nicht einmal herausgefunden hatte er, was Ingelfinger eigentlich in der Bibliothek verloren hatte. Nun ja, letzterem konnte man vielleicht noch abhelfen. Es war ein Buch mit einem schwarzem Einband gewesen, mittelgroß, und er hatte es in das dritte Regalfach von unten gestellt. Fabiou ging vor dem Regal in die Knie und ließ die Augen über die Buchrücken gleiten. Dumm. Jedes zweite Buch in diesem Bereich hatte einen schwarzen Einband.
Er zog die POLITEIA des Platon hervor und Ciceros ORATIONES IN VERREM, ein Büchlein über die Gesetze der Dialektik 334
und eine Abhandlung über die Grundzüge der Tragödie – nach welchem Prinzip waren die Bücher hier eigentlich geordnet? Nach dem Jahr des Druckes? Seufzend griff er nach dem nächsten schwarzen Buch im Regal und schlug die Titelseite auf.
LIBELLUS VERE AUREUS NEC MINUS SALUTARIS QUAM
FESTIVUS DE OPTIMO REIPUBLICAE STATU DEQUE NOVA
INSULA UTOPIA – ein wahrhaft Gold wertes, ebenso heilbringendes wie kurzweiliges Büchlein von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia.
Utopia. Von Thomas Morus.
Ein Rädlein begann zu rattern in Fabious Kopf. Eine Stelle in Trostetts Schreiben: ‹Nur eine Bande Abenteurer und Utopisten…›
Utopisten.
Fabiou blätterte zurück. Auf der ersten Seite war ein Aufdruck, der die vorliegenden Seiten als Produkt der Druckerei Mouche Piqueu, Rue du Puits-Chaud, Aix, kenntlich machte, gedruckt im Jahre 1542. Wandte man dieselbe um, stieß man auf ein Exlibris, das einen Kelch zeigte, aus dem eine Flamme emporloderte. Keine Unterschrift, kein Name. Dann folgte das eigentliche Titelblatt. Er blätterte durch die Seiten. Es war ein schöner Druck, keine Dutzendware, die Buchstaben waren klar und satt, die Seiten stabil, aber leicht zu blättern. Inzwischen war es etwas zerlesen und an manchen Stellen fleckig, als habe der eine oder andere Student beim Mittagessen darin geschmökert, aber zum Zeitpunkt seiner Herstellung war es sicher ein Schmuckstück gewesen. Fabiou seufzte wieder. Na schön, vielleicht war das wirklich das Buch, in dem Ingelfinger gelesen hatte. Er interessierte sich also für die englischen Humanisten, sehr lobenswert. Hilft nur leider in der aktuellen Angelegenheit nicht weiter. Er blätterte wieder nach vorne. Hatte Ingelfinger am Ende die Adresse der Druckerei gesucht? Stand der Drucker in irgendeiner Beziehung zu Trostett?
Mouche Piqueu, nie gehört, aber vielleicht lohnte es sich ja, da mal vorbeizuschauen.
Eines war seltsam.
Das Exlibris. Alle anderen Bücher trugen den Stempel der Universität, aber dieses eine hatte ein Exlibris!
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Wieder schlug er die Seite mit dem Exlibris auf. Wem gehörte dieses Buch? Wer
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