Die Kinder des Ketzers
Ablebens als Vormund bestimmt, und jetzt blieb das Ganze an meinem Onkel hängen. Klingt doch gerade so – mit der ‹Christenpflicht gegenüber besagter Person›.»
«Und die ‹Verfehlungen zur Lebzeit›? Die ‹schreckliche Seuche›, der Senher Beauchamps anheimgefallen ist?», fragte Crestin.
«Na ja», Fabiou lachte, «so wie ich meinen Onkel kenne, hat der gute Senher Beauchamps entweder eine Bürgerliche geheiratet, oder er war Protestant. Aber wenn Ihr es wünscht, kann ich ihn ja mal fragen.»
Crestin betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. «Tut das, Baroun», sagte er langsam. «Ich könnte mir vorstellen, dass das zum allgemeinen Vorteil wäre.»
Fabiou hatte sich schon zum Gehen gewandt, als ihm noch etwas einfiel. «Viguié – sagt Euch der Name Ingelfinger etwas?»
«Wie?»
«Ingelfinger. Er gehört zu dem Unternehmen Ohneberg, wie auch Trostett. Aber er tritt manchmal unter falschem Namen auf. Ich dachte, vielleicht hat er sich ja in irgendeiner Form strafbar 500
gemacht, und deshalb…» Er brach ab. Crestin sah ihn mehr als seltsam an. «Was ist?»
«Ohneberg?», wiederholte der Viguié.
«Ja. So heißt das Unternehmen, für das Trostett gearbeitet hat. Wieso?»
«Da war etwas. Erst vor kurzem, eine Untersuchung gegen das Unternehmen Ohneberg», erklärte Crestin. «Aber da ging es nicht um…» Er brach ab und schüttelte den Kopf.
«Worum ging es?», fragte Fabiou neugierig, und in der plötzlichen Befürchtung, der Viguié könnte ihm etwas verheimlichen:
«Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß – jetzt müsst Ihr mir schon auch reinen Wein einschenken!»
Der Viguié blickte etwas verärgert drein. «Also, erstens mal schulde ich Euch keinerlei Rechenschaft, junger Mann, Ihr mir als dem Viguié von Ais aber sehr wohl! Und zweitens war das eine Untersuchung des Parlaments, über die ich so gut wie nichts weiß
außer dem Namen des besagten Unternehmens. Und drittens, Baroun, habe ich ernsthaft zu tun! Einen guten Tag wünsche ich!»
***
Docteur Grattou betrachtete die junge Dame, die zitternd und kreideweiß vor ihm saß, mit einem reichlich unintelligenten Blick aus seinen blassgrauen Augen. Gewissermaßen war er ja erleichtert. So heimlich wie das junge Ding sich hier hereingeschlichen hatte, nur von einer Dienerin begleitet, die sie dann auch im Vorraum warten ließ, hatte er annehmen müssen, dass es sich um einen Sündenfall mit Folgen handelte. Nicht dass er zu den Quacksalbern gehörte, die heimliche Abtreibungen vornahmen oder gar gefallene Mädchen an Engelmacherinnen weiterleitete, doch offensichtlich war diese Tatsache nicht ausreichend bekannt, und es verging kaum ein Monat, in dem nicht eine junge Dame mit eben diesem Ansinnen an ihn herantrat.
Aber die Geschichte, die dieses Mädchen ihm aufbinden wollte, war derart hanebüchen, dass ihm wahrhaft der Mund offenstand.
«Nun», sagte er nach einer längeren Pause, «Ihr seid also ernsthaft der Meinung, vom Geist einer Toten besessen zu sein?»
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«Ja», sagte Cristino treuherzig. «Gibt es da eine Medizin dagegen?»
Der Docteur schüttelte fassungslos den Kopf. «Es gibt keine Geister», sagte er unwirsch. «Das ist absolut unwissenschaftlich, was Ihr mir da weismachen wollt. Und selbst wenn es Geister gäbe, wären sie wohl kaum mit einer Arznei zu bekämpfen. Warum geht Ihr nicht zur Kirche, und lasst Euch Eure Geister da austreiben?»
«Es ist nur ein Geist!», erklärte Cristino, wütend, wie wenig man sie ernst nahm. «Und bei der Kirche war ich schon, das hat gar nichts genutzt. Und heute gibt es doch gegen fast alles eine Medizin, warum also nicht gegen Besessenheit von Geistern? Ich habe sogar schon von einem gehört, der gibt kinderlosen Frauen den Urin trächtiger Stuten zu trinken, und schwupps! werden sie schwanger!»
«Das ist ja wohl der allergrößte Aberglaube, den ich je gehört habe! Stutenurin, so ein Blödsinn! Mein Kind, wisst Ihr, was ich glaube? Ihr seid von einer schweren humoralen Dyskrasie befallen, bedingt durch das Einsetzen der Menstruation. Das führt bei jungen Mädchen des Öfteren zu einer Verwirrung des Geistes und zu Wahnvorstellungen, wie Ihr sie beschreibt. Das Beste ist, ich lasse Euch zur Ader, um die schlechten Säfte aus dem Körper auszuleiten. Kommt.» Er drehte sich um, suchte nach seinem Instrumentarium.
Cristino war kreidebleich geworden. «Ihr glaubt mir nicht!», schrie sie. «Aber es ist die Wahrheit, und ich werde ein Heilmittel dagegen finden, mit
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