Die Kinder des Ketzers
Ellenbogen auf. Es sah unglaublich souverän aus, weshalb Fabiou sich beeilte, es ihm gleichzutun.
«Monsieur, wir hätten ein paar Fragen an Euch», erklärte er kühl. Ingelfinger sah erneut auf. Ein spitzbübisches Lächeln lag auf seinen Lippen. «Soso, ein paar Fragen. Geht es mal wieder um den bedauernswerten Monsieur Trostett und die Antonius-Jünger?»
«Tut nicht so unschuldig!» Fabiou platzte jetzt langsam der Kragen. «Ich weiß genau, wer Ihr seid! Ihr seid ein kaiserlicher Agent, genau wie Petri und früher Trostett. Ihr und Trostett wart in den 40er Jahren hier in Ais zum Spionieren. Und was immer damals passiert ist, es ist der Grund für die Morde, nicht wahr?»
«Junger Mann», sagte Ingelfinger und legte sein Messer beiseite,
«vielleicht solltest du ein kleines bisschen leiser sprechen, wenn du dein Leben nicht in allzu große Gefahr bringen willst.»
«Pah! Mein Leben ist sowieso in Gefahr, da kann ich reden, so laut ich will!»
«Irrtum.» Ingelfinger streckte seinen Zeigefinger aus. «Dein Leben ist nicht etwa in Gefahr, weil du zu viel weißt, sondern weil jemand befürchtet, dass dein Wissen sich herumsprechen könnte. Bedeutet, je lauter du schreist, desto schneller stirbst du. Und das nächste Mal komme ich vielleicht nicht zufällig vorbei, wenn dir einer in der Carriero de Jouque eine Bleikugel in den Rücken jagen will.»
«Warum habt Ihr mich gerettet?», fragte Fabiou misstrauisch.
«Oh, eine menschliche Anwandlung… man hat das manchmal, eine schlechte Angewohnheit…»
Fabiou überlegte einen Moment, entschied, dass eine etwas geringere Lautstärke jedenfalls nichts schaden konnte, und fragte dann in gedämpftem Ton: «Also, wer hat Trostett ermordet? Die Franzosen?» Er ignorierte Sébastiens beleidigten Blick.
«Du wirst lachen, das war auch meine erste Vermutung. Ich meine, warum bringt man schon einen Spion um? Doch nur, weil er im Begriff ist, etwas auszuspionieren, was von hoher politischer Bedeutung ist. Allerdings bestreiten die Agenten der französischen Krone, etwas mit der Sache zu tun zu haben.»
667
«Die Agenten der französischen Krone? Ihr meint Corbeille?»
Ein Schuss ins Blaue, aber warum nicht. Und auch Schüsse ins Blaue können gelegentlich ins Schwarze treffen. Ingelfingers Gesicht wirkte erstmalig erstaunt. «Langsam verstehe ich, warum Max dich umbringen will», sagte er langsam.
«Max?»
«Der Genevois. Sein richtiger Name ist Maximilien Dutrout.»
«Der Genevois – der Genfer… Stammt er aus Genf, oder warum nennt man ihn so?», fragte Fabiou.
Ingelfinger schüttelte mit einem schiefen Grinsen den Kopf.
«Nein, nein, er ist kein Schweizer, sondern guter Franzose. Er heißt so, weil er seine Karriere damit begann, in die Schweiz und namentlich nach Genf geflohene Protestanten aufzuspüren und vom Leben zum Tode zu befördern. Gebürtig ist er aus Châlonsur-Marne. Was beweist, dass aus der Champagne nicht nur Gutes kommt.»
«Ich bin auch aus der Champagne», nörgelte Sébastien.
«Der Genevois. Ein Berufsmörder, der beauftragt ist, alle zu beseitigen, die über gewisse Vorgänge im Jahr 1545 Bescheid wissen, stimmt’s?» Fabiou blickte Ingelfinger herausfordernd in die Augen.
«Um welche Vorgänge geht es? Rein zufällig um das spurlose Verschwinden einer Gruppe von Leuten, die sich die Bruderschaft des Heiligen Grals nannte?»
Jetzt grinste Ingelfinger wieder. «Du bist schlau, Fabiou. Etwas zu schlau, fürchte ich», sagte er.
«Die von der Bruderschaft haben mit Euch und Trostett gemeinsame Sache gemacht, nicht wahr?», fragte Fabiou. «Sie haben mit Euch gegen die französische Krone konspiriert, stimmt’s? Aber gleichzeitig standen sie auch in Kontakt mit Corbeille, oder?»
«Streich das ‹und› aus dem Satz, Junge. Trostett war Katholik, ich bin Protestant. Wir standen damals so sehr auf einer Seite wie Spanien und England. Es war alles etwas komplizierter, als du dir das vorstellst. Euer König François hat bis zum Frieden von Crépy 1544 das Kunststück fertiggebracht, im Bund mit dem Papst und den protestantischen deutschen Fürsten Krieg gegen den Kaiser zu führen. Seit 1544 war er offiziell gut Freund mit dem Kaiser und damit mit den deutschen Katholiken, im Untergrund ging die 668
Paktiererei mit den deutschen Protestanten aber natürlich weiter. Das Deutsche Reich stand ‘45 kurz vor einem Krieg zwischen den
– katholischen – Kaiserlichen und den protestantischen Fürsten. Die Folge war, dass Corbeille
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