Die Kinder des Ketzers
sie starb?»
Fabiou sah ihn erstaunt an. Einen Augenblick lang blieb Victor in der Tür stehen, öffnete den Mund, als ob er noch etwas sagen wollte, dann schüttelte er aber nur den Kopf und ging aus dem Raum
***
Der Aderlass hatte immerhin einen Effekt: Cristino war so erschöpft, dass sie nicht einmal in der Lage war zu träumen, mit dem Erfolg, dass sie zum ersten Mal seit Wochen eine Nacht tief und traumlos durchschlief.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, war das Haus noch vollkommen ruhig. Loís lag vor ihrem Bett auf dem Fußboden und schlief wie ein Toter – auch für ihn war es der erste ungestörte Schlaf seit vielen Tagen. Sie schwang die Beine aus dem Bett und stieg über ihn hinweg, zum Fenster.
Draußen dämmerte ein neuer Tag. Fahles Morgenlicht zog durch die Carriero de Jouque. Irgendwo sang ein Vogel.
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Sie nahm Platz am Tisch, auf dem sich nach wie vor Onkel Pierres medizinische Bücher stapelten. Sie fühlte sich seltsam. So als sei sie gar nicht sie selbst und hätte es eben erst gemerkt. Oder als sei dies der erste Morgen in ihrem ganzen Leben.
Sie öffnete die Schublade. Dort lag das kleine Büchlein, das sie auf dem Markt gekauft hatte. Als Tagebuch. Eigentlich hatte sie darin doch Tag für Tag ihre Gefühle und Gedanken festhalten wollen, wie die feinen Damen bei Hof das taten. Bis jetzt hatte sie es noch nicht einmal aufgeschlagen.
Sie holte ein Tintenfass und einen Federkiel aus der Schublade und öffnete das Büchlein. Was sollte sie schreiben? Etwas über Agnes Degrelho? Nein, das war unpassend. In Tagebücher schreibt man von Liebe und Enttäuschung und unfassbarem Glück und solchen Dingen, nicht von Geistern. Sie starrte in den Morgen hinaus. Worüber konnte sie schreiben?
Über Alexandre de Mergoult? Der immer so galant und höflich war und vor allem gutaussehend und stark und beliebt. Ja, über Alexandre musste sie schreiben. Liebte sie ihn?
Arman de Mauvent hatte sie geliebt. Aber Alexandre? Oder schmeichelte es ihr nur, dass er sich für sie interessierte?
Hatte sie Arman wirklich geliebt?
Sie dachte an die anderen Männer in ihrem Leben. Sébastien de Trévigny. Er war elegant und gutaussehend und ein Fechtkünstler und alle bewunderten ihn. Aber, nein, ihn liebte sie ganz bestimmt nicht, er war eher eine Art Freund für sie.
Und Arnac de Couvencour?
Sie spürte, wie ihr Herz etwas schneller schlug. Nein, ganz sicher liebte sie ihn nicht, diesen Stoffel, der sie dauernd irgendwo im Regen stehen ließ und sich auch sonst überhaupt nicht wie ein Kavalier verhielt. Nie und nimmer würde sie den lieben! Dennoch, wenn sie an Arnac dachte, da veränderte sich etwas in ihrem Innern, und in diesem Moment an jenem morgendlichen Fenster spürte sie, dass sie ihn vermisste, wann immer er nicht da war. Ist das Liebe?
Und Loís?
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Sie schüttelte heftig den Kopf. Wie kam sie darauf, in diesem Zusammenhang an Loís zu denken? An einen Diener! Um Himmels willen!
Sie starrte auf den Fußboden. Loís hatte sich auf die Seite gedreht. Er lächelte im Schlaf. Cristino schüttelte den Kopf. Langsam wurden ihre Gedanken abwegig, ohne dass einer dabei gewesen wäre, den niederzuschreiben sich zu lohnen schien. Das Büchlein lächelte ihr noch immer in unschuldigem Weiß entgegen.
Und plötzlich, einer Erscheinung gleich, sah sie Castelblanc vor sich. Der Hof der Gabou, der in Flammen aufging. Der Gabou und sein Weib und die Kinder und sämtliche Nachbarn einschließlich Bardou und Loís und Frederi, die beim Löschen halfen. Alle hatten Tücher um den Mund gebunden, gegen den Rauch. Und Bardous Stimme, die rief, macht die Tücher nass, dann halten sie den Rauch besser ab!
Sie saß kerzengerade am Fenster.
Eine Art Ausdünstung.
Eine Art Rauch.
Bei den Pestepidemien hat man zum Teil Sandelholz und Weihrauch verbrannt, in der Hoffnung, so die Pestdünste vernichten zu können. Blödsinnige Idee! Wäre der Rauch von Gabous Hof denn weniger geworden, wenn man zusätzlich noch Sandelholz verbrannt hätte?
Aber die feuchten Tücher, die hatten geholfen. Wie ein Filter. Ein Filter, der den Rauch abhält. Vielleicht hält so ein Filter auch andere Ausdünstungen ab.
Vielleicht sogar das Contagion.
Cristino tauchte die Feder in die Tinte und schrieb oben auf die erste Seite des Tagebuchs:
«Falls das Contagion eine alchemisch fassbare Substanz ist, muss es auch den Gesetzen der Alchemie unterliegen, das heißt, man kann es filtrieren und destillieren und sich so vor
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