Die Kinder des Ketzers
Häusern brütete und die Straßenschluchten in die Kammern eines Backofens verwandelte, an dem Mensch und Tier in den Schatten flüchteten, das Geschrei der Marktfrauen unter der Glut verstummte und selbst die Straßenkinder um die Brunnen herumhingen wie die toten Fliegen. Ein Tag, an dem Ais schlummerte wie jenes verwunschene Schloss im Märchen und auf den Abend wartete, der es wach küsste, an dem jede Seele fluchend die Nacht herbeisehnte, deren Kühle der geplagten Stadt endlich Linderung bringen würde. Ein ganz normaler, in keiner Weise bemerkenswerter Tag also. Fabiou Kermanach de Bèufort vergaß diesen Tag nicht, solange er lebte.
***
Als er den Viguié aufsuchte, war es vier Uhr, und noch machte die Mittagshitze nicht die geringsten Anstalten, abzuklingen. Fabious Kleider klebten an seinem Leib, er wischte sich wieder und wieder mit dem Handrücken über die Stirn und verteilte doch nur Schweiß
von einer Seite auf die andere. Im Hauseingang des Amtes kamen ihm zwei Arquiés entgegen, sie warfen ihm einen kurzen Blick zu und gingen an ihm vorbei. Auf ihren Hemdbrüsten zeichneten sich dunkle Schweißflecken ab. Er stieg die Treppe hinauf und ließ sich dem Viguié melden.
Die Hitze hing über der Amtsstube wie eine dicke, lastende Daunendecke. Beide Fenster waren weit aufgerissen, ohne dass dies auch nur die geringste Luftzirkulation bewirkte. Crestin saß an seinem Tisch und starrte auf ein Stück Pergament, als Fabiou durch die Tür trat. Er sah nicht auf. Laballefraou, der gerade einen Stapel Akten aus einem hohen Schrank wuchtete, hielt in der Bewegung inne, als er Fabiou erblickte. Seine Gesichtszüge hatten ihren Halt verloren. Fabiou stand, versuchte zu atmen durch die erstickende Schwüle der stehenden Luft. Crestin schob das Pergament beiseite und griff nach einem zweiten. Laballefraou legte die Akten ab. Reglos stand er vor dem Schrank. Seine Lippen bewegten sich. So als wolle er etwas sagen und traue sich nicht. «Ist etwas?», fragte Fabiou. 882
Ein bisschen bebte das Pergament in Crestins Händen. Er legte es ab, faltete seine Hände darüber. Laballefraou lehnte sich gegen den Schrank. Er hatte die Lippen jetzt zusammengedrückt, wohl um sie an ihrem Eigenleben zu hindern.
«Mein Stiefvater?» Gott, dass es auch so heiß sein musste! Als ob einem das Hirnwasser aus den Poren lief! «Ist etwas mit meinem Stiefvater? Habt Ihr ihn gefunden?»
Crestin holte tief Luft. Er sah auf. Sein Gesicht wirkte unruhig. «Es… tut mir leid, Baroun», sagte er. Seine Stimme schien verzerrt durch die Hitze. «Es gibt keine Neuigkeiten von Eurem Stiefvater.»
Fabiou runzelte die Stirn. Schweiß sammelte sich in seinen Brauen. «Irgendetwas – ist doch», stellte er fest. Sie antworteten nicht. Laballefraou wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab. «Habt Ihr die Unterlagen bekommen, um die ich Euch gebeten hatte?», fragte Fabiou.
Ein Blick von Crestin zu Laballefraou und von Laballefraou zu Crestin. Crestin fuhr sich mit der Hand über die Nasenspitze, eine Geste der Verlegenheit, die so gar nicht zu ihm passte. «Baroun de Bèufort… diese Unterlagen, wisst Ihr…» Er brach ab.
«Also was ist?», fragte Fabiou ungeduldig. «Habt Ihr sie oder habt Ihr sie nicht?»
Fragend war Laballefraous Blick auf Crestin gerichtet, der Fabiou mit zusammengepressten Lippen ansah. Schließlich nickte er Laballefraou zu. Einen Augenblick stand der Arquié unentschlossen am Schrank, dann lief er zum Pult hinüber und nahm eine Akte von der Schreibfläche. Er schien einen Moment lang zu zögern, bevor er zu Crestin herüberkam und die Akte vor ihm auf die Tischplatte legte. Fabiou trat vor und griff nach der Akte.
«Baroun de Bèufort.» Crestins Hand hatte sich auf seinen Arm gelegt. Der Viguié blickte ihn aus unruhigen Augen an. «Baroun de Bèufort, ich denke, Ihr solltet das besser nicht lesen.»
Er starrte Crestin an. Er begriff. Er hatte es geahnt. Fabiou nahm die Akte vom Tisch und schritt aus dem Raum.
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Es wurde ein seltsamer Abend. Ein Abend, an dem die Familie, das heißt der Teil, der noch übrig war, eine gute Stunde lang stumm und steif um einen gedeckten Tisch herumsaß, ohne dass auch nur ein Satz gesprochen wurde, der über «Reiche mir bitte das Salz» und
«Ich hätte gern noch etwas Sauce» hinausging. Wahrscheinlich lag es daran, dass so viele, die sonst hier gesessen hatten, fehlten. Frederi fehlte. Cristino fehlte. Frederi Jùli fehlte, da es ihm weiterhin zu schlecht
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