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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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das Schweigen hatte ein unerträgliches Ausmaß
    erlangt, legte der ältere Degrelho sein Messer beiseite und blickte seinen Sohn über die Tischplatte hinweg an. «Sag mal, was ist los mit dir?», fragte er.
    Weiter schrammte das Messer über den Teller. Iiiik, iiiik. Victor sah nicht auf.
    «Du kommst hier hereingeschneit, sprichst kein Wort, wirfst bloß mit finsteren Blicken um dich – so kenne ich dich gar nicht!», sagte der Baroun.
    Victor hob den Kopf «Seltsam, nicht wahr?» Er grinste. «Manchmal entdeckt man ganz neue Seiten an Menschen, die man zu kennen glaubt.»
    «Mein Gott, wenn deine Mutter wüsste, wie du dich hier aufführst, und das im Beisein unseres Gastes…»
    «Lasst Mutter aus dem Spiel, um Gottes willen, einmal wenigstens!» Victor knallte das Messer auf die Tischplatte. Seine Augen blitzten wütend. «Was stört Euch eigentlich? Dass ich keine höfliche Konversation betreibe? Dass ich einmal nicht der brave, gehorsame, schüchterne Sohn bin? Mamas kleiner Liebling, Mamas kleiner Angsthase? War ich wirklich ein so ängstliches Kind, Vater? So ängstlich, dass man mich nicht mal eine Nacht in der Obhut eines Kindermädchens zurücklassen konnte? Ich kann mich gar nicht daran erinnern, so ängstlich gewesen zu sein!»
    Cristino sah unsicher von einem zum anderen. Sie wusste aus leidlicher Erfahrung, wie schnell Familienstreitigkeiten eskalieren konnten. Wie peinlich, sollte sie jetzt Zeuge einer Szene zwischen Victor und seinem Vater werden.
    912
    Stumm starrten die beiden Degrelhos einander über die Gedecke hinweg an. Dann holte der Baroun tief Luft. «Ich denke, wir sollten dieses Gespräch lieber beenden, Victor», sagte er dann. «Es ist spät. Barouneto, die Kammerzofe wird Euch Euer Zimmer zeigen.»
    ***
    Es waren wohl nur ein paar Sekunden, die sie dort vor dem Schlüsselloch auf dem Boden kniete und die Worte des Genevois in ihr Denken sickern ließ, doch in diesen Sekunden kam es ihr vor, als zog ihr gesamtes bisheriges und ihr mögliches zukünftiges Leben an ihr vorbei. Ihr Leben als Edelfräulein, dazu bestimmt, einen adligen und wenn möglich reichen Mann zu heiraten, den ihre Eltern für sie aussuchen würden. Ihr Leben als Mädchen, als Frau. Wahrscheinlich gab es gar keine Zukunft. Wahrscheinlich würden sie sie ebenso töten wie Hannes. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war sie ja zu unwichtig, als dass sie ihretwegen die Bürde eines Mordes auf sich nehmen würden. Vielleicht wollten sie ja nur ihren Spaß mit ihr haben, vielleicht schändeten sie sie ja nur und ließen sie dann gehen. Damals, bei dem Überfall im Wald, war ihr diese Möglichkeit reizvoll erschienen, das große Abenteuer sozusagen, doch jetzt erfüllte sie dieser Gedanke mit namenloser Angst. Vielleicht würde sie also überleben. Hannes würde sterben, das war klar, aber sie würde leben. Sie würde zurückkehren zu ihrer Familie, und alles würde seinen vorherbestimmten Gang nehmen. Man würde ihr einen Mann suchen. Es würde nicht die allerbeste Partie sein, denn wer nahm schon eine Frau, die von einer Horde Landsknechte vergewaltigt worden war, aber irgendeinen würden sie finden, vielleicht einen, der dringend Geld brauchte und scharf auf ihre Mitgift war. Sie würde an seiner Seite leben, Kinder gebären und ein stilles, sittsames Leben führen, wie es sich für eine Frau gehört, und Hannes und dieser seltsame Tag würden in ihrer Erinnerung verblassen, als ob es sie nie gegeben hätte. Die Vorstellung trieb ihr die Tränen in die Augen. Ja, wenn sie ein Mann wäre. Dann würde sie jetzt versuchen, etwas zu unternehmen, um Hannes und sich selbst retten. Aber sie war kein Mann, sie war nur ein kleines, dummes Mädchen, und so 913
    würde sie hinter dieser Tür sitzen und zusehen, wie Hannes starb, und danach würde sie hinter dieser Tür sitzen und darauf warten, dass sie kamen, sie zu holen.
    Es war ungerecht. So furchtbar ungerecht.
    Hannes’ Grinsen war eingefroren auf seinem Gesicht. «Ihr könnt mich töten, wenn Ihr wollt», stieß er hervor. «Aber das wird nichts daran ändern. Gar nichts.»
    Der Genevois lächelte. «Immerhin – ein Ärgernis weniger», sagte er. Dann wurde sein Gesicht plötzlich nachdenklich. «Carfadrael…», murmelte er geistesabwesend. «Wer weiß, vielleicht sind die beiden Idioten von Sant Vitori ja ein größeres Problem, als wir dachten.» Einen Moment lang schien er angestrengt nachzudenken, dann nickte er dem Capitaine zu. «Ihr solltet mitkommen nach

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