Die Kinder des Ketzers
erkannte, dass er schon wieder jenen bei seinem Herrn so verhassten Ketzer vor sich hatte. «Senher!», brüllte er.
«Senher, kommt schnell!»
Arnac packte ihn am Kragen. «Wo ist Cristino?»
«Senheeeer! Ich werde ermordet! Hilfeeee!»
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«Verflucht, wo ist sie?»
«Was ist hier los?» Onkel Philomenus erschien auf der Treppe. Von allen Seiten kamen sie jetzt herbeigerannt. Bardou und Jacque stürmten aus der Scheune, und neben Philomenus tauchten Madaleno de Castelblanc und Oma Felicitas auf «Ihr!», rief Philomenus, als er Arnac erkannte. «Haltet ihn! Haltet den Ketzer! Du, lauf und hol den Capitaine der Inquisition!», befahl er dem Pförtner, der nur hilflos mit den Armen fuchtelte, denn Arnac hatte ihn mitnichten losgelassen und der Pförtner wagte offenbar nicht, sich gewaltsam loszureißen.
«Wo ist Cristino?», schrie Arnac.
«Ha, das hättest du wohl gerne gewusst, Ketzer!», rief Philomenus. «Aber so einen wie dich lasse ich nicht an meine Nichte heran!»
«Cristino ist in Sicherheit», sagte Oma Felicitas mit einem vernichtenden Seitenblick auf ihren Sohn. «Baroun Degrelho hat sie mit auf sein Landgut genommen. Hier in der Stadt ist es zu gefährlich für sie, nach allem, was passiert ist… nachdem sogar der Cavalié verschwunden ist…»
Arnacs Hand öffnete sich. Der Pförtner riss sich los und floh in die Dunkelheit.
«Wie?», hauchte Arnac.
Oma Felicitas betrachtete ihn stirnrunzelnd. «Liebe Güte, Junge, Ihr seht nicht gut aus. Habt Ihr Euch verletzt?»
«Degrelho?», flüsterte Arnac. «Sie ist mit Degrelho?»
«Ja, der Baroun war so freundlich, ihr Schutz zu gewähren, nachdem ihr Stiefvater…»
«Wo sind sie hin?» Arnac war vorgeschossen. Er hatte diese Worte fast geschrien. Onkel Philomenus machte sicherheitshalber einen Satz rückwärts.
«Nun, wohin wohl – in Richtung Keyrié natürlich…»
Arnac fuhr herum. «Hat jemand gesehen, dass sie Richtung Keyrié gefahren sind? Hat das jemand gesehen?», schrie er.
«Na ja… ähm…», meldete Jacque sich zögernd zu Wort.
«Was?»
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«Ich bin ihnen noch ein paar Schritte nachgelaufen. Immerhin ist mein Bruder mitgefahren. Und nach allem, was in letzter Zeit passiert ist…»
«Gott, Junge, wo sind sie hin?», schrie Arnac.
«Na, das war ein bisschen komisch.» Jacque kratzte sich am Kopf.
«Sie sind da unten rechts abgebogen, also in Richtung Porto dis Augustin. So als ob sie auf die Route d’Avignon wollten. Ich meine, wenn man in die Keyrié will, ist das doch ein Umweg, oder?»
Arnac starrte ihn an. Seine rechte Hand umklammerte den Knauf seines Degens, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Dann, urplötzlich, fuhr er herum und war mit einem Satz wieder auf seinem Pferd.
«Arnac, Himmel, was ist los?», fragte Sébastien alarmiert. Arnac beugte sich zu ihm hinüber und umklammerte seinen Arm mit einer Hand. «Sébastien, hör mir zu!», keuchte er. Die Finger, die sich in Sébastiens Ärmel krallten, bebten. Sébastien bemerkte verstört, dass Arnac am ganzen Körper zitterte. «Du musst Hilfe organisieren, Sébastien. Wen ist egal. Den Viguié, diesen Vascarvié oder meinetwegen auch diesen carcistischen Knallkopf da in der Tür! Aber hol Hilfe, so schnell wie möglich, und kommt mir nach! Bevor es zu spät ist!»
«Nachkommen? Wohin denn?», fragte Sébastien verständnislos. Arnac riss das Pferd herum. «Nach Santo Anno dis Aupiho!», schrie er und preschte aus dem Hof.
***
Sie saßen im weichen Gras eines Hügels, die Hände ineinandergelegt, die Gesichter dem fahlen, abnehmenden Mond zugewandt. Still war es ringsum, friedlich, das immerwährende Zirpen der Grillen als einziges Geräusch. Ein einsames Glühwürmchen schwebte durch die Nacht; Catarino streckte ihre Hand danach aus, die es mit seinem weichen Schein berührte, bevor es zwischen den Bäumen verschwand. Ihre erste Nacht mit einem Mann. Sie hatte es sich anders vorgestellt. Im Grunde war nichts geschehen, nichts, was sie kompromittieren könnte, körperlich gesehen war sie immer noch Jungfrau. Sie hatten nichts getan außer Arm in Arm im 922
Gras zu liegen und zu reden. Und dennoch fühlte sie tief in ihrem Innern, dass sie in dieser Nacht, unter diesem funkelnden Sternenhimmel ihre Unschuld verloren hatte. Er hatte erzählt. Angefangen von jenen frühen Tagen, die seinem Erinnerungsvermögen kaum noch zugänglich waren, bis zu der heutigen Nacht. Sie waren sehr lange still, als er geendet hatte. Catarino sah zu den glitzernden
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