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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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streckt ihr nicht die Arme entgegen, wie sie es sonst macht, wenn sie weint, weil sie hingefallen ist. Sie steht wie die Marmorstatue auf dem Sockel, 943
    die Arme gegen die Seiten gepresst. Ihre Augen und ihr Haar ha- ben die Farbe der Dunkelheit, die sie umgibt. Louise, heult Agnes, Louise, und streckt ihr die Ärmchen entgegen, alles ist gut jetzt, Louise ist nicht ohne sie zu den Engeln gegangen, Louise wird sie beschützen. Und Louises Hand greift nach ihr, packt sie am Arm, reißt sie hinter sich, es tut weh, und sie heult auf vor Wut, Lou- ise soll ihr nicht wehtun, sie soll sie trösten, schließlich hat sie so Angst gehabt! Lou-i-se!, beginnt sie zu schimpfen, wie Mama früher mit Louise geschimpft hat. Doch die Silben ersterben auf ihren Lippen. Die Kinderfrau kommt. Sie rennt nicht mehr, lang- sam schreitet sie auf Louise zu. Da bist du ja, Louise, sagt sie. Wieso lauft ihr denn vor mir weg, ihr bösen, bösen Kinder?
    Sie beginnt zu schreien. Louise, komm weg, schreit sie, sie will uns was Böses, sie hat Alice was Böses getan, Louise!
    Louise reagiert nicht. Sie läuft nicht weg, sie geht nicht mal einen Schritt rückwärts. Sie steht nur da, reglos, wie die Marmor- statue, und ebenso weiß. Langsam läuft die Kinderfrau weiter. Sie lächelt.
    Agnes weint. Sie weint, weil sie begreift, dass Louise nicht auf sie hören wird. Dass Louise sie wieder nur für klein und dumm hält, wie damals bei der Sache mit dem Bild von dem Hirsch. Lou- ise, schluchzt sie, komm weg, Louise, schnell!
    Louise rührt sich nicht. Still steht sie da und sieht der Kinder- frau entgegen, die näher kommt, zwei Schritte noch, und sie hat den Stern erreicht.
    Louise!, kreischt Agnes.
    Sanft schweben die Schritte der Kinderfrau über das Mosaik, bis sie vor Louise steht, so dicht, als ob sie sie in ihre Arme schlie- ßen will, wie sie es sonst vor dem Zubettgehen immer getan hat, und Louise steht nur und sieht sie an aus Augen, in denen die Schwärze der Nacht liegt und die Stille des Todes. Louise, sagt das Kindermädchen tadelnd, legt Louise die Hände um den Hals und drückt zu.
    Agnes schreit. Der Schrei hallt zurück aus den Höhen der Ge- wölbedecke. Fast ein Echo.
    Starr steht die Kinderfrau, wie die Leute im Märchen, die ein Zauberer mit einer einzigen Berührung seiner Hand zu Stein ver- 944
    wandelt hat, starr sieht sie Louise an, die Hände immer noch um deren Hals gekrallt, und reglos sieht Louise zurück, ein Blick so ruhig und so leer wie der Blick aus den toten Augen von Alice. Louise wehrt sich nicht gegen die Hände an ihrem Hals. Nur ih- ren rechten Arm hat sie erhoben. Die Hand liegt an der Brust des Kindermädchens.
    Agnes schreit.
    Da dringt ein Laut aus dem Mund der Kinderfrau, ein stöh- nender, gurgelnder, erstickender Laut. Ihre Hände geben Louises Hals frei, greifen ungelenk in die Luft. Louise zieht ihre Hand zurück, und die Kinderfrau stolpert rückwärts, die Hände jetzt in die Brust gekrallt. Wieder kommt dieser Laut aus ihrem Mund, ein Laut wie das Ächzen des Windes in den Baumkronen, und mit dem Laut schwappt Blut aus ihrem Mund, tropft über ihr weißes Mieder, besprenkelt ihre Schürze, ein Meer von Blut, in dem der Stern ertrinkt, schwarz und glänzend im Licht des fernen Mondes.
    Agnes schreit.
    Die Kinderfrau stürzt. Sie liegt auf dem Stern, in der Lache aus Blut, die sich um sie herum ausbreitet, der Körper zusammenge- krümmt, Arme und Beine zuckend wie bei einem Käfer, den man auf den Rücken gedreht hat. Louise steht neben ihr. Sie hält ein Messer in ihrer rechten Hand. Von der Spitze der Klinge tropft Blut, schwarz wie ihre Augen.
    Agnes schreit.
    Noch einmal läuft ein Zucken durch den Körper der Frau, und sie liegt still. Sie liegt auch noch still, als Louise sie mit dem Fuß
    anstößt. Louise starrt sie an, dann starrt sie das Messer an, das sie immer noch in ihrer Hand hält. Dann wischt sie die Klinge an ihrem Nachthemd ab und läuft den Gang hinunter. Agnes hat die Arme um ihre Schultern geschlungen. Sie wim- mert leise.
    Sie hat Angst, mit dem Kindermädchen alleine zu bleiben, auch wenn es sich nicht mehr bewegt. Also rennt sie hinter Louise her, die über den Gang läuft und bei Alice stehen bleibt. Sie kniet ne- ben ihr nieder und streichelt ihr die Haare. Sie redet. Ich weiß, wer schuld an all dem ist, sagt sie zu Alice. Er wird dafür bezahlen, 945
    Alice, für das, was er dir getan hat, und Daniel, und Mama und Papa. Ich schwöre es dir, Alice.
    Agnes bibbert in

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