Die Kinder des Ketzers
sowieso alle meinem Onkel.»
«Deinem Onkel? Ich dachte… Catarino, das ist Diebstahl!»
«Besser einen Diebstahl begehen als einen Mord geschehen lassen, oder?»
Er seufzte. «Also gut. Könnte ich mir dann ein Pferd leihen? Ich bringe es zurück», erklärte er. «Ich will nur ein Stück mitkommen. Um sicher zu sein, dass er es wirklich geschafft hat.»
«Kein Problem.»
Bruder Antonius war es, der die Pferde sattelte, da Catarino nicht die geringste Ahnung hatte, wie so etwas ging. Um so gewandter schwang sie sich danach in den Sattel. «Ein Hoch auf Arnac de Couvencour, der mir geraten hat, den Herrensitz zu üben», rief sie lachend aus. «Los, Antonius!» Im gestreckten Galopp preschte sie auf die Straße hinaus.
***
950
Keiner sprach ein Wort auf dem Weg nach Santo Anno dis Aupiho. Das lag größtenteils am Tempo. Frederi trieb sein Pferd an, als ob er heute Nacht noch bis nach Bordeaux wollte, und Fabiou begann sich allmählich zu fragen, wie lange die Pferde diese mörderische Geschwindigkeit noch durchhalten würden. Er wunderte sich, dass sie Arnac nicht längst eingeholt hatten, denn dessen Pferd hatte ja bereits den Ritt von Mergoult nach Ais hinter sich bringen müssen. Und dennoch war weder von Arnac noch von besagtem Tier das Geringste zu sehen.
Santo Anno dis Aupiho rückte näher. Er wollte lieber nicht daran denken, was sie dort erwartete.
***
Crestin beschloss, Gott ein Loblied für die Bequemlichkeit zu singen, mit der er den Kerkermeister der Conciergerie gesegnet hatte, denn allein der war es zu verdanken, dass Hannes sich in einer der winzigen, nachtschwarzen Zellen befand und nicht schon drei Türen weiter in der Folterkammer. Als er die Tür öffnen ließ, von einem mürrischen Wachtposten, den er mitten aus süßen, weinseligen Träumen gerissen hatte, kauerte Hannes an der gegenüberliegenden Wand auf dem glitschigen Fußboden, den Kopf gegen die feuchten Steine gelehnt. Er war mittlerweile an Händen und Füßen gefesselt.
«Mach ihm die Füße los», befahl Crestin dem lustlosen Wärter.
«Er soll ins Amt gebracht werden, zum Verhör.»
Der Wärter bedachte Crestin und Laballefraou mit einem fassungslosen Blick. Offenbar schien er der Meinung zu sein, dass nur ein komplett Geisteskranker so arbeitswütig sein konnte, mitten in der Nacht einen Gefangenen zu verhören. Dann zuckte er mit den Achseln und löste die Fußfesseln, die Hannes‘ Gelenke umschlossen. Laballefraou zog Hannes auf die Füße. Der Junge war schweißnass vor Angst. Crestin wusste, dass Hannes in dieser Situation nur mit dem Allerschlimmsten rechnen konnte, und wünschte sich inständig, irgendetwas tun oder sagen zu können, um ihm zu zeigen, dass er nichts von den furchtbaren Dingen vorhatte, die der Junge sich ausmalte. Stattdessen sagte er nur: «Gut. Gehen wir.»
951
Laballefraou schob Hannes auf den Gang hinaus. Die Beine des Jungen knickten ein vor Angst, als sie den Gang hinunterliefen, und Laballefraou musste ihn unterhaken. «Mann, reiß dich zusammen, Kleiner», knurrte er. Hannes antwortete nicht. Er kämpfte gegen einen heftigen Würgereiz.
Sie traten in die Nacht hinaus, und die Tür der Conciergerie fiel hinter ihnen ins Schloss. «Ganz normal weiterlaufen, Junge», flüsterte Laballefraou dem zitternden Hannes zu. «Wir tun dir nichts, versprochen.»
Hannes starrte ihn aus großen Augen an. Ansonsten tat er, was Laballefraou ihm befohlen hatte. Er lief weiter.
In der Carriero Ponto Novo drückten sie sich in eine Seitengasse. Crestin griff nach Hannes’ Händen und zerschnitt hastig seine Fesseln. «Geh in aller Ruhe zum Nachttor und verlass die Stadt, als seiest du ein Bauer, der sich nach dem Markt noch in den Badestuben vergnügt hat. Wenn einer fragt, sagst du genau das», sagte er. «Das Mädchen wartet auf dich vor der Stadt an der Porto BelloGardo mit einem Pferd. Wir werden in einer Stunde Alarm schlagen. Wir werden behaupten, deine Komplizen hätten uns überfallen, dich befreit und uns in einen Schuppen eingeschlossen, aus dem wir uns erst nach so langer Zeit befreien konnten, du hast also einen Vorsprung. Reite nach Osten, in Richtung Italien. Du bist erst sicher, wenn du über der Grenze bist, vergiss das nicht. Wenn du irgendetwas brauchst, was dir Flügel verleiht, dann denk daran, wie dein Vater und dein Onkel gestorben sind.»
Hannes kämpfte darum, seinen Mageninhalt an Ort und Stelle zu halten. «Ich denke die ganze Zeit an nichts anderes, das könnt Ihr mir
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