Die Kinder des Ketzers
engelsgleiche Frau, die auf einem Kutschbock kniete, wirre Haare in ihr schweißbedecktes Gesicht geklebt, und mit wütendem Brüllen auf den Mann feuerte, dessen Hand nach der Tür der Kutsche griff, in der ihre Kinder saßen. Sie hatte Daniel und Louise jeweils eine Arkebuse in die Hand gedrückt und gesagt, wenn einer die Kutschentür aufmacht, dann 1013
schießt ihr, und da saßen sie nun an den Fenstern, ihre furcht- losen, unbekümmerten großen Geschwister, hielten sich an den riesenhaften Arkebuse fest und heulten vor Angst.
«Da war dieser Säugling», murmelte Cristino. «Nein, kein richtiger Säugling, viel kleiner. Er ist gestorben, oder?»
«Pierre hat darüber geschrieben», sagte Fabiou. «Ein frühgeborenes Kind, dessen Mutter gestorben war. Das war Louise, das Mädchen, das sich um es gekümmert hat, nicht wahr?»
«Daniel hat ihn gefunden», flüsterte eine heisere Stimme hinter Fabiou. Erstaunt drehte er sich um. Louise Degrelho hatte die Augen geöffnet und fixierte Fabiou mit einem erschöpften Blick. «Ich hatte das schon ein paar Mal bei Kühen gesehen, also habe ich ihn abgenabelt und in ein Tuch gewickelt. Es war ein Junge. Wir haben ihn getauft, Daniel und ich. Wir haben ihm sogar einen Namen gegeben, Jacque Estève haben wir ihn genannt, weil wir dachten, so ein kleines Kind könnte wirklich zwei Heilige zum Schutz gebrauchen. Es ist trotzdem gestorben, kurz darauf.»
«Wir sind dann mit Justine und den Kindern weitergezogen», erklärte Rouland de Couvencour. «Wir wollten versuchen, über den Großen Luberoun wieder nach Hause zu kommen. Kurz vor Castellet kam uns ein Trupp Soldaten entgegen, so dass wir die Kutsche stehen lassen mussten und in den Wald flohen. Dort trafen wir dann auf eine Gruppe Flüchtlinge, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Cristou hatte die Idee, sie nach Tour d’Aigue zu geleiten und unter den Schutz der Barouno zu stellen.»
«Aber in Tour d’Aigue waren Mayniers Soldaten, so dass ihr umkehren und euch nach Buous durchschlagen musstet», ergänzte Fabiou.
«Etwas Besseres ist uns nicht eingefallen», sagte Couvencour.
«Ein paar unserer alten Verstecke waren zwar in der weiteren Umgebung, aber sie hätten niemals so vielen Menschen Platz geboten, zumal die Flüchtlinge auch dringend zu essen brauchten. Von den Buous sagte man, dass sie anständige Leute waren, das war alles, was wir wussten, persönlich kannte sie keiner von uns, schließlich stammten wir vier nicht aus dem Luberoun.» Couvencour seufzte. «Wir hatten Glück, der alte Buous war am Boden zerstört nach 1014
allem, was Mayniers Heer angerichtet hatte, und suchte dringend nach einer Möglichkeit, seine Mitschuld wiedergutzumachen. Also nahmen sie uns auf.»
Der Baroun de Buous schüttelte langsam den Kopf. «Stimmt, jetzt erinnere ich mich», murmelte er. «War so ein Chaos, damals, hatte das ganz vergessen, dass da ein paar Edelleute bei den Flüchtlingen waren, einer mit seiner Familie… ihr seid ein paar Tage dageblieben, war’s nicht so?»
«Hector und ich, ja», sagte Couvencour. «Zwei oder drei Tage lang, bis Justine und die Kinder sich halbwegs von den Strapazen erholt hatten. Aber Cristou und Pierre sind sofort wieder aufgebrochen.»
«Warum habt ihr uns nicht gesagt, dass ihr von der Bruderschaft seid?», grummelte der Buous. «Die Bruderschaft, das war schließlich was – wir hätten euch unser letztes Hemd gegeben, wenn wir’s gewusst hätten, Onkel Gabriel und ich! Und vor allem hätten wir die zwei Jungs nie und nimmer nach Ais gehen lassen! Nicht solang da der Maynier rumsprang und Köpfe rollen spielte!»
«Sie verließen Buous am Morgen des 29. April», erklärte Rouland de Couvencour. «Sie wollten unbedingt sofort nach Ais zurück, Cristou, weil er sich um seine Familie sorgte, und Pierre, weil er wohl vorhatte, sofort ganz Ais auf den Kopf zu stellen in dem Bemühen, Maynier vor Gericht zu bringen. Wir dachten uns nichts dabei. Dass Raymoun, Lucien und Jaquot getötet worden waren, hielten wir noch immer für tragische Zufälle. Nie wären wir darauf gekommen, dass sie in Ais bereits auf uns warteten.»
Der letzte Moment vor dem Tor von Buous, auf der Straße, die ins Tal hinunterführt. Cristou und Pierre im Sattel, Cristou weiß
wie eine Wand, während er verzweifelt zu lächeln versucht, und Pierre, dieses seltsame grimmige Grinsen auf dem Gesicht, als er die Hand hebt und Hector und Rouland zum Abschied zuwinkt, und Rouland spürt, dass er schlucken
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