Die Kinder des Ketzers
Dächern… Es ist eine schlimme Sache passiert, und die hatte zur Folge, dass wir unsere Kapelle heute lieber meiden wollten, zumal die Reinigungsarbeiten noch andauern… Also, kurz und gut, heute Nacht ist ein Mitbruder, Frater Servius, in unserer Kapelle ermordet worden.»
«Ermordet?», rief Catarino entsetzt.
«In der Kirche?», keuchte Cristino.
«Ja, wie? So richtig, mit einem Schwert?», fragte Frederi Jùli mit leuchtenden Augen.
142
«Ja, und von wem bitte?», fragte Fabiou.
Wieder der Seufzer. «Eine gute Frage», sagte Bruder Antonius.
«Wir gehen davon aus, dass es ein Räuber war, der das Altargerät stehlen wollte. Bruder Servius hat ihn wahrscheinlich überrascht, und da hat er ihn getötet. Mit einem Dolch, soweit ich das beurteilen kann. Er hatte zumindest eine Wunde in der Brust, die nach einem Stich mit einem Dolch aussah.» Bruder Antonius, der sich viel mit der Versorgung Kranker und Verletzter beschäftigt hatte, kannte sich mit den Folgen von Gewaltanwendung aus.
«Fehlt denn etwas?», fragte Fabiou.
«Tja… das ist das Seltsame», antwortete Bruder Antonius. «Soweit man feststellen konnte, sind alle Schätze der Kapelle noch vorhanden. Jacobus, unser Bruder Küster, hat Bruder Servius gefunden. Gut möglich, dass der Mörder ihn kommen hörte und floh.»
«Hm», sagte Fabiou, und Cristino konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn zu denken anfing. Genau der Ausdruck, den er hatte, wenn er über der nächsten Strophe einer Sonette grübelte.
«Wann hat der Bruder Küster denn den Toten gefunden?», fragte er.«Nun…alserindieKircheging, umdie Kerzen für die Laudes zu entzünden, um halb vier etwa wird das gewesen sein.»
«Hm. Ein dummer Dieb, der um halb vier in einem Augustinerkonvent einbricht, wo jeder weiß, was ihr für Frühaufsteher seid», sagte Fabiou.
Antonius lachte. «Nicht jeder Dieb ist so gebildet wie du es bist, Fabiou.»
«Trotzdem…», murmelte Fabiou. «Sag mal, Antonius, hast du den Toten gesehen?»
Antonius schluckte. «Ja. Natürlich. Wir sind alle zusammengelaufen, als Bruder Jacobus mit lautem Geschrei durchs Kloster gerannt ist.»
«War er schon steif?»
«Bitte?»
«Na, du hast doch mal gesagt, dass ein Körper erst zwei oder drei Stunden nach dem Tod steif wird. Also, war der Tote schon steif?»
Antonius zögerte einen Moment, so als wisse er nicht genau, was er darauf antworten solle. «Ich weiß nicht», sagte er dann ge143
dehnt. «Ich habe ihn nicht angefasst. Aber als sie ihn hochgehoben haben… ja, ich denke, er war steif.»
«Nun», Fabiou räusperte sich, «wenn der Körper schon steif war, als der Küster ihn fand, bedeutet das, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens zwei Stunden tot war, id est, dass die Ankunft des Küsters wohl kaum den Mörder vertrieben haben kann.» Er grinste. «Logik», sagte er triumphierend.
«Ich habe nie daran gezweifelt, dass du der beste Schüler warst, den zu unterrichten ich die Ehre hatte», meinte Antonius spöttisch. «Nun, dann muss ihn eben irgendetwas anderes vertrieben haben.»
«Warum ist eigentlich immer alles der Meinung, der Grund für einen Mord müsse ein Raubüberfall sein?» ereiferte sich Fabiou.
«Nun, es ist der häufigste Grund, schätze ich», entgegnete Bruder Antonius.
«Du hast mir einiges über die Suche nach Antworten beigebracht. Dass die häufigste Antwort zwangsläufig auch die richtige ist, gehörte meines Wissens nicht dazu», erklärte Fabiou mit ärgerlich in die Seiten gestemmten Armen.
«Aber was für einen Grund sollte es sonst geben, einen Mönch zu töten?», fragte Bruder Antonius kopfschüttelnd. «Noch dazu so einen Mönch! Er war ein Träumer, ein Wissenschaftler, einer, der sich in seine Bücher vergrub, um so gut wie nie wieder daraus aufzutauchen. Gewiss keiner, der sich in eine Situation bringt, die einen Mord rechtfertigt.»
Fabiou kaute auf dem Fingernagel seines rechten Daumens herum. Cristino fiel auf, dass er immer auf etwas herumkauen musste, wenn er nachdachte. Meistens war es sein blöder Kohlestift, hinterher hatte er oft pechschwarze Lippen. Die alte Barbro hatte ihn einmal so gesehen und gebrüllt, die Pest, die Pest ist ausgebrochen. Dann schüttelte Fabiou nachdenklich den Kopf. «Schon das zweite Rätsel heute. Und beidesmal geht es um einen Mord.»
«Das zweite?», fragte Bruder Antonius erstaunt.
«Wir haben heute früh nämlich schon einen Gemordeten gefunden!», erklärte Frederi Jùli stolz.
«Das heißt
Weitere Kostenlose Bücher