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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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als letzte dem Ausgang zu. Dämmerung senkte sich über die Gräber, irgendwo rief Tante Eusebia noch immer nach Theodosius, und sie erheiterten sich mit der Vorstellung, dass er soeben vom Geist eines Toten in ein finsteres Grab hinabgezogen wurde. Zur Rechten wankte eine Edeldame in schwarz durch die Reihen der Gräber, den Kopf gesenkt, das Gesicht grau und kränkelnd im blassen Dämmerlicht des Abends. Eine Dienerin folgte ihr im respektvollen Abstand von zwei Schritten. Was war es, das Cristino dazu brachte, sich noch einmal umzudrehen?
    Im ersten Moment dachte sie, dass sie schwebte. Sie musste mehrmals blinzeln, um den Eindruck zu vertreiben, dass diese schwarz verhüllte Gestalt nicht ihre Füße benutzte, um sich zwischen den Gräbern fortzubewegen, sondern dass sie dahinglitt wie ein Boot über den Wassern, vorbei an sacht im Wind schaukelnden Zedern, vorbei an Steinkreuzen, von denen herab der gekreuzigte Christus ihr sanft sein dornengekröntes Haupt zuneigte. Dann erreichte sie ihr Ziel, die Gräber der Valoun, die Gräber der Aubans, und dort sank sie in sich zusammen wie eine Fahne, wenn der Wind abflaut, und lag auf den Knien, die gefalteten Hände vor die Brust gepresst.
    153
    «Da», hauchte Cristino. «Seht doch!»
    Die anderen wandten sich um. «Was? Was denn?», fragte Frederi Jùli neugierig.
    «Da… an den Gräbern…»
    Fabiou zuckte mit den Achseln. «Eine Nonne, na und?» Er drehte sich um und lief weiter.
    «Aber…», begann Catarino.
    «Kinder, kommt endlich!», rief die Mutter vom Ausgang.
    «Aber… das ist ja…» Catarino machte einen Schritt vorwärts.
    «Kinder!»
    «Tante Beatrix!»
    «Catarino!»
    Catarino war losgerannt, doch jetzt blieb sie stehen. «Aber…
    Mutter… da ist… Tante Beatrix!»
    «Catarino, red keinen Unsinn, Tante Beatrix ist in Rom, das weißt du genau! Und jetzt komm!»
    Seufzend drehte Catarino sich um und lief dem Ausgang zu. 154
    Kapitel 4
    in dem Cristino ein Paar Schuhe und ein Medaillon kauft, was sie beides noch ziemlich bereuen wird
    Je te dis que chaque chose
    vient en temps et en heure
    au regard de l’éternité.
    Ich sage dir, alles kommt zu seiner Zeit und seiner Stunde im Bezug zur Ewigkeit.
    Christine de Pisan (1363-1431), französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin, Livre de la Cité des Dames 155
    Ais ist ein Traum aus Wasser, Licht und Schatten. Das Grün der Bäume, die den geschäftigen Straßen ihren Schatten spenden und nur einzelne Lichtstrahlen durchlassen, das helle Braun und Rot der Häuser, glänzend im Licht einer aufsteigenden Sonne, die in den Wassern der Brunnen tanzt und schillert. Hitze, in die engen Straßen gepfercht, die den Fuhrknechten und den Marktfrauen den Schweiß auf die Stirn treibt und ihnen die abgetragene, fleckige Kleidung am Leib kleben lässt, Kälte im Zwielicht der Hauseingänge, die dunkel wie die Nacht sind, wenn man aus dem Sonnenlicht hineintritt. Keine gotische Kühle einer Stadt wie Paris, die den Winter kennt und den Schnee und der der Regen so vertraut ist wie der Klang der Glocken von Notre Dame, und doch ebenso wie Paris eine Stadt pulsierend vor Lärm, Leben, Liebe und Gewalt, in der sich Arm und Reich in den Straßen aneinander vorbeidrängen, Adlige und Bürgerliche, Gelehrte und Unwissende, Mächtige und Ohnmächtige, in der Politik, Kunst, Wissenschaft und Religion ebenso zu Hause sind wie Diebstahl, Schlägereien, Krankheit und Tod. Also alles in allem wie geschaffen für einen Poeten, dachte Fabiou de Bèufort, während die Kutsche ihn ruckelnd durch die Straßen trug. Fabiou hatte sich an das Fenster der Kutsche gedrückt und versuchte, jedes Detail der fremden großen Stadt auf einmal in sich aufzunehmen. Es war überwältigend; eine Flut aus Farben, Geräuschen und Gerüchen, die alles übertraf, was er bisher erlebt hatte. Ihm gegenüber saß Catarino und sah ebenfalls mit leuchtenden Augen aus dem Fenster. Hörte man Catarino zu, musste man zu der Überzeugung gelangen, dass sie jeden Stein am Wegesrand inund auswendig kannte; ständig machte sie Bemerkungen wie: «Da hinten an der Ecke stand früher doch dieser Straßenhändler» oder
    «Hier bin ich mal hingefallen und habe mir das Knie aufgeschlagen, wisst ihr noch?» Fabiou fand dies lächerlich; Catarino war gerade drei Jahre alt gewesen, als sie Ais verlassen hatten. Die Familie Auban wohnte, zum großen Bedauern von Madaleno de Castelblanc, nicht direkt in der Carriero dis Noble, wie die kleine, aber durch eine

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